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Todesspiel

Todesspiel

Titel: Todesspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R.Scott Reiss
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das bedeutete, dass Mama sterben musste?«
    Er konnte ihr keine befriedigenden Antworten geben. Nachdem sie sich einigermaßen beruhigt hatte, war sie in distanziertes, vorwurfsvolles Schweigen verfallen, was ihm wochenlang schlaflose Nächte bereitet hatte. Er hatte mit Engelszungen auf seine Tochter eingeredet, hatte ihr versprochen, sie nie wieder anzulügen, immer für sie da zu sein und sie über alles auf dem Laufenden zu halten, was er über den Amerikaner herausfand, der den Tod ihrer Mutter auf dem Gewissen hatte.
    »Ich will nicht, dass dir auch etwas zustößt«, hatte sie schließlich gesagt, nachdem sie ihm, wie es schien, eine Ewigkeit lang die kalte Schulter gezeigt hatte. Ihm waren fast die Tränen gekommen vor Erleichterung darüber, dass sie wieder anfing, sich zu öffnen.
    Inzwischen standen sie einander beinahe noch näher als früher in Rio Branco. Und er missbrauchte schon wieder ihr Vertrauen.
    »Darf ich mich für das Stipendium bewerben?«, fragte Estrella ihren Vater.
    »Wie kommst du darauf, dass ich etwas dagegen haben könnte?«
    »Wenn ich es bekäme, müsste ich dich zwei Wochen lang allein lassen.«
    Trotz seiner Sorgen wegen Evans erfüllte ihn ihre Antwort mit Freude. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte sie es nicht ertragen können, auch nur eine Stunde von ihm getrennt zu sein.
    Offenbar ging es ihr zunehmend besser. Sie hatte auch wieder angefangen, Bücher zu lesen, Biographien von Indira Gandhi und Margaret Thatcher. Sie war gut in Mathe und schlecht in Biologie. Zu Hause war sie liebenswürdig, half ihren Mitbewohnern bei der Hausarbeit und den Nachbarn beim Grillen, wenn sie Geburtstags- oder Hochzeitsfeste ausrichteten.
    »Du wirst deinen Mann und deine Familie einmal sehr glücklich machen«, hatte er sie neulich aufgezogen, als sie das Baby einer Nachbarin gefüttert hatte.
    Ihr Gesicht hatte sich verfinstert. »Ich will keinen Mann.«
    Rubens sorgte sich, dass sie aufgrund des erlittenen Traumas womöglich niemals einem Mann ihr Herz öffnen würde, so wie er es für Rosa getan hatte. Durch ihn hatte Estrella erfahren, dass Ehemänner und Ehefrauen verwundbar waren.
    Die kleine Tänzerin legte den Kopf schief, als würde sie seinen Gedanken lauschen. Degas’ Modell war arm gewesen und hatte den Job bei dem Maler und Bildhauer angenommen, um sich mit dem Geld Tanzstunden leisten zu können, genauso wie Estrella im Ditmars Dance Studio die Toiletten schrubbte, damit sie den Ballettunterricht bezahlen konnte. Das Mädchen war, als Degas es in Bronze verewigt hatte, so alt gewesen wie Estrella, als sie aus Brasilien geflohen waren. Jetzt war die kleine Tänzerin eine unsterbliche Bronzeskulptur, der nichts und niemand mehr weh tun konnte.
    Wie kann ich sie jetzt allein lassen und ihr beibringen, dass Unschuld ein Grund sein kann, die Flucht zu ergreifen? Dass man nirgendwo auf der Welt in Sicherheit ist?
    »Natürlich kannst du dich bewerben. Du kriegst das Stipendium bestimmt.«
    Ebenso wie er träumte sie immer noch nachts von Rosa und machte sogar Geschenke für sie – Halsketten aus roten Glasperlen oder Kekse, die sie der toten Mutter »schickten«. Dazu gingen sie ans Ufer des East River und übergaben die Geschenke dem Wasser, wie es Rubens bei den Juden aus der Nachbarschaft beobachtet hatte, die an Rosch Ha-Schana Brot in den Fluss warfen. Wenn Estrella die Kekse ins Wasser fallen ließ, hatte Rubens jedes Mal das Gefühl, als würde sein Herz mit davonschwimmen. Vielleicht glaubten die Juden, dass das Wasser Botschaften an Gott überbrachte. Wer wusste schon, wie die Toten Nachrichten empfingen? Warum sollte man es also nicht mit Wasser versuchen?
    Möchte wissen, ob die Polizei meine Fingerabdrücke nach Washington geschickt hat.
    In dem Augenblick kam Tommys Sohn Jamie auf sie zu, der sich in einem anderen Saal ein Gemälde angesehen hatte, auf dem Napoleon bei Waterloo seine Truppen inspizierte. Der Junge begleitete sie manchmal donnerstags, denn er konnte gar nicht genug von Estrella bekommen. Er war sehr beliebt in der Schule und in der Nachbarschaft, ein kluger Kopf, und Rubens hoffte, dass seine Anhänglichkeit Estrella mit der Zeit ein bissen erweichen würde. Sie mochte Jamie als Freund. Vorerst reichte das. Aber manchmal wünschte Rubens, Tommy würde recht behalten und Estrella würde sich in Jamie verlieben.
    Die Polizei hat immer noch nichts von der Botschaft verlauten lassen, die an Evans’ Wand geschrieben stand. Warum nicht?
    »Mein Vater hat

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