Todesspiel
nach Washington zu dem Geheimdienstlehrgang geflogen. Er und Cizinio hatten in verschiedenen Reihen gesessen. Die Stewardess hatte ihm einen Schokoladeneisbecher gebracht. Man hatte ihnen einen Spielfilm gezeigt und kurz vor der Landung in Washington ein Frühstück mit dünnem Kaffee serviert, und beim Anflug hatte er unter sich das Weiße Haus gesehen.
Jetzt saßen sie auf dem harten, nassen Boden. Es roch nach Schmieröl und verschwitzten Männerkörpern. Ein zweiter, schmächtig gebauter Schwarzer stieg ein. Er wirkte sehr verängstigt und für einen Aufenthalt im Dschungel völlig unangemessen gekleidet. Beigefarbener Anzug, gestreifte Krawatte, durchnässte Halbschuhe, von denen sich schon die Sohle löste. Die Socken waren ebenfalls verschlissen. Eine weiße Strähne in seinem dunklen Haar verstärkte noch den Eindruck, dass er unter Stress stand. Er war hier vollkommen fehl am Platze. Selbst sein entenartiger Watschelgang wies ihn als Stadtmenschen aus. Der Mann hatte einen Laptop unterm Arm, zuckte zusammen, als er Rubens und Estrella erblickte, stürmte auf den Piloten zu und zeigte wütend auf die beiden.
»Verdienen Sie noch nicht genug Geld, dass Sie noch scharf auf Nebenverdienste sind?«, schnauzte er ihn auf Englisch an. »Keine Passagiere!«
»Wenn wir Platz haben, warum sollen wir ihn nicht nutzen?«
»Ich fasse es nicht!«, rief der junge Schwarze aus.
»Ich hab Angst, Papa«, sagte Estrella, als die Rampe hydraulisch hochgefahren wurde und sie einschloss. Die Motoren wurden angelassen.
»Wart’s ab, bis wir oben sind. Da hat man eine tolle Aussicht.«
Plötzlich kamen aus dem Cockpit weitere drei Passagiere. Diese Männer, Weiße, alle etwa Ende zwanzig, Anfang dreißig, waren ebenfalls Zivilisten. Sie trugen Tropenkleidung, allerdings von der teuren, modischen Sorte: lange Hosen, Westen mit vielen Taschen und Sonnenbrillen, die ihnen an Schnüren um den Hals hingen. Die Männer redeten so laut, dass Rubens selbst aus fünfzehn Metern Entfernung die Pointen ihrer englischen Witze verstehen konnte. Und sie rochen nach Alkohol.
»Da sagt der Chinese: Meine Frau kannst du vielleicht ficken, aber mich nicht!«
Die Männer brüllten vor Lachen. Der junge Schwarze saß für sich allein, nervös und mürrisch.
Rubens sah, dass die Männer silberne Metallaktenkoffer und blaue Leinentaschen bei sich hatten. Einer von ihnen, ein Typ mit Vollbart, hatte eine Kamera um den Hals. Alle drei trugen das Haar militärisch kurz geschnitten.
Estrella zitterte, als das Flugzeug sich in Bewegung setzte. Die Beleuchtung erlosch, und rote Lichter gingen an. Der Lärm war überwältigend. Während Rubens Estrellas Hand hielt, stellte er sich vor, wie sie auf die Bäume zurasten. Was habe ich ihr bloß angetan , dachte er mit angehaltenem Atem.
Kurze Zeit später schlief er erschöpft ein.
»Hübsches Mädchen«, sagte eine Stimme in der Nähe und riss Rubens aus dem Schlaf.
Die betrunkenen Passagiere waren näher gekommen und beäugten seine Tochter wie die Goldsucher die Stripperinnen in der Bar Las Vegas. Er schaute ihnen einem nach dem anderen in die blutunterlaufenen Augen, bis sie den Blick senkten.
»Wir wollten ja nur nett sein«, sagte der Mann mit der Kamera, dann verzogen sie sich.
Es fing immer nett an, dachte Rubens und verbarg seine Fäuste, als sie in eine Turbulenz gerieten und das Flugzeug absackte.
Als sie schließlich gegen acht Uhr zum Landeanflug ansetzten, stank es im ganzen Flugzeug nach Erbrochenem. Alle hatten sich übergeben, vor allem der Mann im Anzug. Aber niemand hatte Estrella belästigt.
Eine Stunde später standen sie auf der Landebahn eines Militärflughafens am Meer. Über ihnen knatterte die brasilianische Flagge im Wind. Zumindest hatte Josepha nicht gelogen, als sie ihm den Zielort genannt hatte. Rubens sah kreisende Radarschirme. Und einen Hubschrauber, der sich näherte. Die Passagiere, die sich inzwischen wieder einigermaßen erholt hatten, fotografierten. Der nervöse Schwarze telefonierte. Soldaten schoben ein Gerüst ans Heck des Flugzeugs. War die Turbulenz während des Flugs durch einen Schaden am Heck verursacht worden?
Nein, sie ändern die Kennzeichen des Flugzeugs!
Der Morgenhimmel war beinahe so blau wie Cizinios Augen, wenn er Rubens anschaute.
Hinter einem Stacheldrahtzaun lag ein Strand, und dahinter sah er rostfarbenes Wasser und Schiffe, die schwarzen Rauch ausstießen. Der Amazonas war so mächtig, dass er das Meer dreihundert Kilometer weit
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