Todesspiel
lassen, dachte Christa.
Aber es rührte sie auch, wie sehr er sich wünschte, in den USA bleiben zu dürfen. Sie hatte unzählige Stunden damit zugebracht, Telefonleitungen von Simulanten abzuhören, und zahllose Gespräche mit ihnen geführt, und ihr Instinkt sagte ihr, dass Esteban wahrscheinlich nur ein mittelloser Landarbeiter war, der in der Hoffnung auf ein bisschen Wohlstand in den Norden geflohen war. Oder er war der beste Schauspieler, dem sie je begegnet war.
Sieh dir an, wie wir dich behandeln, und trotzdem willst du hierbleiben? Gott, wie schlimm muss es da sein, wo du herkommst.
Als Christa gerade einen Schluck von ihrem dünnen Kaffee trank, vibrierte ihr Handy schon wieder, lästig wie ein Insekt, das ihr über den Schenkel kroch. Wenn es sich bei dem Anrufer um einen Kollegen handelte, der ihr eine wichtige Frage stellen wollte, dann wäre das rote Licht auf dem Tisch angegangen. Vielleicht war es ja Jim, der verzweifelt versuchte, sie zu erreichen, um zum x-ten Mal über alles zu diskutieren, um sie dazu zu überreden, dass sie ihren Job aufgab.
Nicht jetzt.
»Esteban, es spielt keine Rolle, welche Antwort jemand hören möchte. Wichtig ist nur, dass sie der Wahrheit entspricht.«
Das rote Licht leuchtete auf. Es sagte ihr, dass sie den Raum sofort verlassen sollte.
»Haben Sie schon mal mit Arabern zu tun gehabt?«
Die nackten Wände ließen die Stimmen lauter erscheinen. Christa wusste, dass der Mörder keine Fingerabdrücke hinterlassen hatte. Aber im Wandschrank waren Haare, Fasern von Kleidungsstücken und Schuhabdrücke gefunden worden. Aus den Haaren und dem Erbrochenen auf dem Teppich würde sich eine DNS ermitteln lassen. FBI-Zeichner hatten aufgrund der Aussagen von Esteban und einem zweiten möglichen Zeugen Phantombilder angefertigt. Aber die würden ihnen nur etwas nützen, wenn der Mann keine Verkleidung verwendet hatte.
»Es war ein Araber«, beharrte Esteban.
Christa gefiel seine Körpersprache nicht und auch nicht, wie sein Blick nach links wanderte und sein Fuß aufhörte zu wippen, als er diese Antwort gab. War Esteban es derart gewohnt, anderen nach dem Mund zu reden, dass er gar nicht mehr anders konnte? Oder was war es?
»Erklären Sie mir, warum Sie sich so sicher sind«, drängte sie.
Sie dachte an die Botschaft an der Wand in Evans’ Haus. »Muslimische Kinder«, hatte dort gestanden. Es gab reichlich Muslime in der Stadt, die keine Araber waren. Schwarze Muslime, bosnische Flüchtlinge, Pakistaner, weiße Tschetschenen, konvertierte Amerikaner.
Esteban hat gesagt, der Verdächtige war weder schwarz noch weiß.
Oder war die Botschaft an der Wand eine absichtlich falsch gelegte Spur?
Ich zweifle ja nicht daran, dass vielleicht Araber etwas damit zu tun haben. Aber noch will ich nicht alle anderen Möglichkeiten ausschließen.
»Es war ein Araber!«
Das rote Licht begann jetzt zu blinken.
Christa verließ das Verhörzimmer. Sie sah sofort, dass irgendetwas Wichtiges vorgefallen war, denn überall liefen Leute vom FBI herum – gut zu erkennen an ihren dunklen Anzügen. In den Büros wurden Möbel gerückt, um für die Neuankömmlinge Platz zu schaffen. Der DEA-Vernehmer schob sich mit grimmiger Miene an ihr vorbei, um Esteban wieder zu übernehmen.
»Wir haben einen neuen Chef, Christa. Er will dich sofort sprechen.«
»Sie haben ihn verwirrt«, sagte Bundesanwalt Sebastian Walsh.
Christa befand sich im Eckbüro ihres abgesetzten Chefs Jared Fulvio, der mit ausdruckslosem Gesicht, aber innerlich vor Wut kochend auf dem Drehstuhl neben ihr saß. Ihr neuer Boss hatte Fulvios Schreibtisch mit Beschlag belegt.
»Er scheint sehr leicht beeinflussbar zu sein«, sagte Walsh.
Draußen war blauer Himmel zu sehen, wo früher das World Trade Center gestanden hatte. Militärhubschrauber patrouillierten über dem Hudson River. An der Wand hinter Walshs jungenhaftem roten Haarschopf hing ein Foto des Justizministers, der ihn herbeordert hatte. Walshs polierter Krückstock stand neben dem Papierkorb. Er hatte die Fingerspitzen aneinandergelegt, so dass seine Hände ein Dreieck bildeten. An der linken Hand trug er einen Ehering. Jared war nicht einmal dazu gekommen, die Fotos von seiner Frau und seinen Kindern vom Schreibtisch zu räumen. Jareds Ehe war ein Scherbenhaufen. Manchmal war es einfacher, mit Kriminellen umzugehen als mit Ehepartnern. Selbst Familienfotos auf Schreibtischen legten falsche Fährten, dachte Christa.
Mein Handy hört nicht auf zu
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