Todesspiel
erfahren können. Jetzt suchte er nach Hinweisen in Business-Blogs.
In Manhattan angekommen, gingen sie als Erstes zu Presto’s, einem Laden für Theaterbedarf auf der 54 th Street, um für Rubens eine Fensterglasbrille und eine gute Perücke zu kaufen. Mit dieser Verkleidung wirkte sein Gesicht etwas kantiger. Dann fuhren sie über die Second Avenue zur 44 th Street und bogen nach links ab in Richtung UN-Komplex am East River. Die Firmenzentrale der Nestor-Gruppe befand sich in der 45 th Street in der Nähe der Second Avenue. Es war unmöglich, einen Parkplatz zu finden. Überall standen dicht an dicht Wagen mit Diplomatenkennzeichen, selbst vor Feuerhydranten und im Halteverbot. Auf den Autos sammelten sich Strafzettel, die Diplomaten ja nicht zu bezahlen brauchten.
»Illegale Einwanderer, pah! Mir gehen vor allem die legalen auf die Nerven!«, sagte Tommy, als ein SUV mit Diplomatenkennzeichen aus einer wundersamerweise legalen Parkbucht herausfuhr. Von der Plaza vor dem Gebäude aus beobachteten sie die Leute, die ein und aus gingen. Rubens lief ein kalter Schauer über den Rücken. Konnte es sein, dass aus diesem kupferfarbenen Turm aus Stahl und Glas vor zwei Jahren der Befehl gekommen war, Rosa zu töten? Das Gebäude schien das violette Licht des aufziehenden Gewitters aufzusaugen, es schien sich irgendwie von den anderen Gebäuden ringsum zu unterscheiden – wahrscheinlich eine Sinnestäuschung. Aber Rubens musste an den Assassinobaum im Dschungel denken, der dem harmlosen Gummibaum täuschend ähnlich sah. Wenn man eine seiner kleinen, blauen Blüten auch nur streifte, schwollen einem sofort die Adern an. Rubens betrachtete die getönten Scheiben, die wie Spiegel funktionierten, anstatt einen Blick ins Innere des Gebäudes zu gewähren. Die Antennen auf dem Dach wirkten wie Raketen, die auf Jets am Himmel zielten.
»Wir brauchen Beweise, Rubens.«
»Vielleicht haben sie ja Fotos aus Brasilien an den Wänden. Oder wir zeigen der Empfangsdame einfach das Foto und fragen sie, ob sie jemanden darauf erkennt. Vielleicht kam man ja auch den Jahresbericht der Firma einsehen, denn im Internet hab ich ihn nicht gefunden. Warum braucht der Typ in Bombay so lange, um die Informationen über Nestor zu schicken?«
»Wäre es nicht schön, wenn Nestor plötzlich hier rauskäme und wir uns an seine Fersen heften könnten?«
Rubens rief in der Firmenzentrale an und bat darum, mit dem Vorzimmer des Chefs verbunden zu werden. Dem Sekretär, der sich schließlich meldete, erklärte Rubens, er habe den Auftrag, einen Präsentkorb abzuliefern, worauf der Mann sagte, er werde nachsehen, ob der Chef im Haus sei.
»Ja, er ist hier.«
Doch plötzlich kam es Rubens idiotisch vor, hierherzukommen, amateurhaft. Die Chancen waren noch geringer als beim Tierlotto. Ein Polizist würde einfach da reingehen, seine Marke zeigen und Antworten verlangen. Aber Rubens war der Hauptverdächtige, nicht Nestor oder sonst wer hier in dem Gebäude. Es juckte ihn im Nacken. Kratzen half nicht. Er erinnerte sich, dass er als Junge manchmal, wenn er mit seinem Vater in den Dschungel gegangen war, dasselbe Gefühl hatte. Dann hatte er in die Baumkronen hinaufgespäht, um herauszufinden, woher das seltsame Gefühl kam.
»Spürst du, dass dich etwas beobachtet?«, hatte sein Vater einmal gefragt.
»Wahrscheinlich bilde ich es mir nur ein.«
»Die Tiere wittern uns, Rubens. Ich glaube, du hast das Talent, sie auch zu wittern.«
»Mein Gott, das ist ja eine Miniaturausgabe der UNO- Zentrale«, sagte Rubens fünf Minuten später.
Sie befanden sich in der luftigen, geschäftigen Lobby des Gebäudes und überflogen die Liste mit den Namen der Mieter. In der Scheibe des Schaukastens spiegelte sich der Hintergrund, und Rubens sah drei Sicherheitsleute – zwei Männer und eine Frau – hinter einem marmornen Empfangstresen. Sie überprüften Ausweise, kündigten Besucher telefonisch an, und forderten die Gäste auf, sich in eine Besucherliste einzutragen.
Ein weiterer finster dreinblickender Sicherheitsmann stand an einem Drehkreuz und überprüfte die Besucherpässe, ehe er die Leute durchließ. Eine elegant gekleidete Frau mittleren Alters stritt sich gerade mit ihm, weil er ihr den Zutritt verweigerte. »Was soll das Theater?«, schrie sie ihn an. »Sie kennen mich doch!« Tommy war immer noch mit der Liste der Mieter beschäftigt. »Sieht so aus, als wäre das hier eine Mischung aus privaten Unternehmen und ausgelagerten UN-Abteilungen.
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