Todesspur
eingehen. Mir reicht schon der Schlamassel von gestern.«
»Och, ich wäre aber gern bei der Verhaftung dabei gewesen«, grummelt Jule und erinnert Völxen dabei stark an seinen Terrier, wenn man ihn von einer heißen Kaninchenspur abruft.
30
Dass ein Mann seine Familie zu beschützen hat, ist für Julian Tiefenbach keine hohle Phrase. Besonders nicht seit dem Sonntagabend. Hätte sein Sohn Luis nur schon früher mit ihm gesprochen! Andererseits hat ja gerade er, sein Vater, ihm beigebracht, dass ein richtiger Kerl nicht mit jedem Wehwehchen angerannt kommt, sondern erst mal versucht, seine Probleme selbst zu lösen. Erst jetzt erkennt Tiefenbach, dass er den zarten, sensiblen Luis, der leider ganz nach seiner Mutter schlägt, damit überfordert hat. Allerdings lässt sich das, was sich Olaf erlaubt hat, auch nicht unter ›Wehwehchen‹ einordnen. Julian Tiefenbach ist sicher, dass ihm Luis längst nicht alles erzählt hat, aber das, was er in jener verhängnisvollen Nacht erfahren musste, treibt ihm noch heute die Zornesröte ins Gesicht. Von klein an hat Olaf den jüngeren Luis dominiert und ihn als seinen Sklaven behandelt. Nachdem Constanze Döhring beschlossen hatte, die Zimmer ihrer Jungs aus erzieherischen Gründen nicht mehr von der Putzfrau säubern zu lassen, musste Luis regelmäßig Olafs Zimmer reinigen und seine Sachen bis hin zum Inhalt der Schränke in Ordnung bringen. Dazu gehörte sogar, dass er Olafs Schuhe putzte und seine T -Shirts bügelte. Als Luis vor zwei Jahren von der Polizei nach Hause gebracht wurde, weil er versucht hatte, in einem Supermarkt Alkohol und Zigaretten zu stehlen, hat Julian Tiefenbach seine aufgebrachte Frau noch beruhigt und gemeint, das sei normal, dass Jungs in dem Alter mit solchen Dingen experimentierten und auch mal was mitgehen ließen. Schließlich sei er selber früher auch kein Waisenknabe gewesen. Deshalb fiel seine Strafpredigt recht milde aus und endete mit Luis’ Versprechen, es nie wieder zu tun.
Herrgott, was für ein blinder Idiot war ich! Ich hätte doch sehen müssen, dass so eine Tat gar nicht zu Luis passt. Der ist doch aus ganz anderem Holz geschnitzt als ich!
Stattdessen hielt Julian Tiefenbach es für eine Art Mutprobe unter Jungs und war im Geheimen sogar ein bisschen stolz auf seinen Sohn, den er bis dahin für ein Weichei gehalten hatte. Nie wäre er auf die Idee gekommen, dass sein Sohn gezwungen wurde, für Olaf zu stehlen. Und zwar regelmäßig. Als Druckmittel benutzte Olaf einerseits simple Gewalt und andererseits die Drohung, Luis und seiner Familie etwas anzutun. Als Luis sich eines Tages widersetzte und damit drohte, seinen Eltern alles zu erzählen, brannte der alte Gartenschuppen. An dessen Stelle ließ Julian Tiefenbach dann das Gartenhaus im Stil eines japanischen Teehauses errichten, womit er Olivia eine große Freude machte. Das war vor drei Jahren gewesen, und nie wäre Tiefenbach auf die Idee gekommen, dass der Sohn der Nachbarn hinter dem Brand steckte. Nicht dieser Sohn, zumindest. Auch der vergiftete Hund ging natürlich auf Olafs Konto. In den Augen seines Vaters hat Luis richtig gehandelt, als er sich endlich gewehrt hat, wenn auch auf die falsche Art. Was genau der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte, hat ihm sein Sohn nicht erzählt. Hätte Luis ihm nur früher Bescheid gesagt, anstatt ihn nun von einer Straftat zur nächsten zu treiben. Warum hatte der Junge so wenig Vertrauen zu ihm? Oder hat er sich einfach zu sehr geschämt?
Aber egal was geschehen ist, jetzt ist es geschehen, und Julian Tiefenbach hat seiner Frau und seinem Sohn versprochen, die Sache in Ordnung zu bringen. Das ist das Mindeste, was ein Vater tun kann, der seinen Sohn so lange im Stich gelassen hat.
Doch dann hat ihn dieses dumme Arschloch, dieser Ex-zuhälter, wie es heute in der Zeitung stand, offenbar beim Abladen der Leiche gesehen. Seitdem ist Julian Tiefenbach ein Getriebener, denn was blieb ihm anderes übrig, als diesen gefährlichen Zeugen für immer zum Schweigen zu bringen? Und dasselbe wird er mit dieser geldgierigen Schlampe machen müssen, die ihn nun belästigt und seine Familie bedroht. Ihre Geschichte von dem Brief, der an die Polizei geht, sollte ihr etwas zustoßen, beeindruckt ihn wenig. Dasselbe würde ich an ihrer Stelle auch behaupten. Nein, solche Leute schreiben keine Briefe an die Polizei.
Vor zwei Stunden hat er einem jungen Türken, der an einer Imbissbude herumhing, fünfzig Euro in die Hand
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