Todesspur
Versicherungskarte fragen würde. Was für ein schreckliches Leben sie führen muss: immer im Untergrund, nie darf sie auffallen.
»Pass auf, ich kenne einen Arzt, der Leute wie dich … ich meine, Leute, die keine Versicherung und so weiter haben, behandelt, ohne Fragen zu stellen. Antonio wird dich hinbringen.«
Jamaina schüttelt heftig den Kopf.
»Was ist passiert?«, will Fernando nun wissen.
Jamaina bricht in Tränen aus und Antonio reicht ihr ein schon etwas zerknülltes Taschentuch. Schließlich berichtet sie, wie sie im Lager war, als sie das Klirren von Flaschen und Pedras Schrei hörte. Sie sei zur Tür gestürzt, habe aber gezögert, als sie arabisch klingende Männerstimmen hörte. Durch den Riss in der alten Holztür, die den Laden vom Lager trennt, konnte sie beobachten, wie die Männer Pedra an einen Stuhl fesselten, ihr eine Mütze über den Kopf zogen und das Geld aus der Kasse nahmen. »Dann ich konnte sie nicht mehr sehen, und es war ruhig. Ich denke, sie sind weg, also ich komme raus aus dem Lager, aber da fliegt eine Flasche herein. Und dann alles hat gebrannt … « Jamaina legt das Gesicht in ihre Hände und schluchzt erneut auf.
Antonio vollendet den Bericht. »Sie hat die Fesseln nicht aufgekriegt, also hat sie deine Mutter mitsamt dem Stuhl durchs Lager geschleppt. Vorne raus ging es ja nicht, da hat es schon überall gebrannt. Dann ist sie zu mir gerannt, und ich habe deine Mutter auf den Hof verfrachtet und die Feuerwehr und den Notarzt gerufen. Pedra war nicht ansprechbar, aber geatmet hat sie noch.«
»Jamaina, ich weiß gar nicht, wie ich dir jemals dafür danken soll«, beginnt Fernando verlegen.
»Dir wird schon was einfallen«, meint Antonio und haut Fernando grob auf die Schulter.
»Was ist mit Pedra?«, fragt Jamaina ängstlich.
»Ich weiß es nicht. Rauchvergiftung«, wiederholt Fernando die Worte des Notarztes. Sagte er nicht sogar »schwere Rauchvergiftung«? An Rauchvergiftung, das weiß Fernando, kann man sterben.
Lieber Gott, lass Mama nicht sterben, ich habe doch nur sie , betet er im Stillen, während Antonio kurzzeitig in die Ermittlerrolle schlüpft: »Jamaina, du hast die Kerle also gesehen?«
»Ja«, sagt sie kaum hörbar.
»Die waren nicht maskiert?«, wundert sich Fernando.
»Nein.«
»Kannst du eine Personenbeschreibung abgeben?«, fragt Fernando, der hellhörig geworden ist.
»Ich nicht gehe zur Polizei!«
»Aber mir kannst du doch wenigstens … «
Jamaina vergräbt ihr Gesicht wieder unter dem Tuch. Aber Fernando ist längst klar, wer hinter der Sache steckt. Eine irrsinnige Wut überkommt ihn. Den Laden abfackeln ist eine Sache, aber seine Mutter auf einen Stuhl zu fesseln, damit sie bei lebendigem Leib … Er kann diesen Gedanken kaum zu Ende denken. Er verspürt einen überwältigenden Drang, diese Kerle umzubringen, sie vorher noch zu quälen, und sie dann zu töten …
»Wir sind da«, unterbricht Antonio Fernandos Gewaltphantasien. Fernando reißt die Wagentür auf, kaum dass der Alfa zum Stehen gekommen ist, und stürmt auf den Eingang der Klinik zu.
Antonio ruft ihm nach: »Ich bringe Jamaina nach Hause, ruf mich an, ja?«
31
Völxen lässt sich vor der Einmündung zur Grazer Straße absetzen und wartet dort auf die angeforderten Einsatzkräfte. Es dauert nur wenige Minuten, dann stehen acht Kollegen vom SEK und vier Leute vom Erkennungsdienst bereit.
Olivia Tiefenbach wird leichenblass angesichts der zwei martialisch anmutenden SEK ler, die Völxen bis zur Tür begleitet haben. Der Rest hat das Haus bereits umstellt. Sie behauptet, nicht zu wissen, wo ihr Mann sei, woraufhin die Kollegen von der Spezialeinheit das Haus vom Dach bis zum Keller überprüfen. Doch Julian Tiefenbach ist tatsächlich nicht zu Hause, und auch sein Auto steht nicht in der Garage. Das SEK rückt wieder ab. Völxen präsentiert Frau Tiefenbach den Durchsuchungsbeschluss, und noch während sie sich darüber echauffiert, streifen die vier Spurensicherer ihre Handschuhe über und beginnen mit einer gründlichen Durchsuchung der Villa. Olivia Tiefenbach erkundigt sich aufgeregt nach Luis und stellt sofort klar, dass ihr Sohn nicht ohne ihre Zustimmung und schon gar nicht ohne einen Rechtsbeistand verhört werden darf.
»Keine Sorge, Ihr Sohn wurde lediglich in Gewahrsam genommen, eine Psychologin ist bei ihm«, sagt Völxen, womit er Oda meint. Dann greift er zum Telefon und leitet die Fahndung nach Julian Tiefenbach in die Wege. Dessen Ehefrau hört dem
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