Todesspur
gedrückt, mit der Anweisung, den Puff in der Reuterstraße aufzusuchen und das in rotes Weihnachtspapier eingewickelte Päckchen bei einer Nutte namens Selima abzugeben. »Kannst ja gleich noch eine Nummer schieben«, hat er dem verdutzten Jungen gesagt, und der ist mit dem wertlosen Päckchen in der Hand freudestrahlend abgezogen. Seither beobachtet Tiefenbach den Eingang des Puffs. Der Stimme nach muss diese Stella um die fünfzig sein, wenn nicht älter. Aber keine Frau, die Stella sein könnte, betritt oder verlässt das Etablissement, nur der junge Türke kommt nach einer Viertelstunde mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht wieder heraus. Die Schlampe ist also vorsichtig. Klar, wäre ich auch, wenn man bereits meinen Luden erschossen hätte.
Mit entschlossen zusammengepressten Lippen betritt Tiefenbach das Bordell und fragt den Typen am Empfang nach einer gewissen Selima. Der Kerl telefoniert, und kurz darauf steht der Professor für Informatik in einem abgerockten Zimmer mit schäbig-kitschiger Einrichtung, in dem es süßlich-muffig riecht. Eine junge, ziemlich fette Schwarze breitet ein großes Handtuch auf dem Bett aus. Ihn ekelt. Er war während seiner Bundeswehrzeit ein paarmal mit betrunkenen Kameraden in Puffs, aber er ist nie mit einer aufs Zimmer gegangen. So besoffen konnte er gar nicht werden, um daran Gefallen zu finden. Nein, Tiefenbach kann nicht verstehen, wie Männer in so einer Umgebung überhaupt einen hochkriegen. Wenn es nach ihm ginge, würden nicht nur solche Schmuddelläden, sondern auch Gegenden wie das Steintorviertel erst gar nicht existieren. Wen wundert es, dass auf so einem Nährboden das organisierte Verbrechen blüht und gedeiht, dass hier jede Menge kriminelles Pack eine Geschäftsbasis findet, und das alles vor den Augen der Polizei? Warum wird in diesem Land nicht härter durchgegriffen? Im Gegenteil, als Steuerzahler alimentiert man das Gesocks sogar noch.
Das Päckchen ist nirgends zu sehen. Ist Stella schon da gewesen, hat der Laden einen Hinterausgang? Egal, er wird sie kriegen, so oder so.
Die Prostituierte bittet ihn in gebrochenem Deutsch und sanft gurrendem Tonfall, sich zu waschen. Sie hat noch nicht ausgeredet, da hat sie schon seinen Unterarm an der Kehle, und der Lauf der Makarow bohrt sich in ihre Schläfe. Er hat die Pistole von einem ehemaligen NVA -Soldaten nach der Wende gekauft, als in Berlin jede Menge russischer Waffen verhökert wurden. Die Pistole ist nicht die einzige Waffe, die er damals günstig erstanden hat.
»Kein Laut, oder ich blas dir das Hirn weg.« Er lockert den Griff, die Pistole bleibt, wo sie ist. »Wer ist Stella? Wo wohnt sie?« Ihre Augen quellen hervor, er kann ihren Angstschweiß riechen und ihr schwüles Parfum. Widerlich!
Als sie nicht antwortet, dreht er ihr den Arm auf den Rücken und reißt ihn nach oben. Sie wimmert vor Schmerz. »Weiß nicht, wo Stella wohnt. Hab nur Telefon«, kommt es gepresst.
Tiefenbach gibt sich mit der Festnetznummer zufrieden, die reicht ihm. Er macht der Frau eindrücklich klar, dass sie tot sei, sollte sie irgendjemandem von dieser Begegnung erzählen. Dann lässt er sie los. Sie nickt, noch immer völlig verängstigt, und reibt sich ihr Schultergelenk. Mit einer Geste der Gönnerhaftigkeit wirft ihr Tiefenbach fünfzig Euro auf die pinkfarbene Bettdecke und verlässt das Etablissement mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck – so wie die meisten Besucher.
Der Anruf kommt von Meike Klaasen vom KDD . Fernando ist im ersten Moment ein wenig genervt, ehe er schlagartig begreift, dass es ihr nicht um das Einfädeln einer Verabredung geht.
»Fernando, eben wurde uns ein Brand in Linden-Mitte gemeldet, und die Adresse – ich glaube, das ist euer Laden, die Feuerwehr ist vor Ort … «
»Was ist mit meiner Mutter?«, brüllt er zurück, aber über das Schicksal der Ladenbesitzerin weiß die Kollegin nicht Bescheid. Fernando stürmt aus dem Büro, hastet die Treppen hinunter und rast wenig später auf seiner Maschine durch die Stadt. Mama! Was, wenn ihr etwas geschehen ist, was, wenn sie … ? Er wagt den Satz nicht zu Ende zu denken. Schon bereut er es heftig, heute Morgen so muffelig zu ihr gewesen zu sein, und schlittert panisch um die letzte Ecke.
Eine Menschenansammlung hat sich auf der Straße hinter der Absperrung der Feuerwehr gebildet, die mit zwei Löschfahrzeugen vertreten ist. Drei Einsatzwagen der Polizei sind vor Ort und zwei Rettungswagen. Fernando erkennt einige Bewohner des
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