Todesspur
auch schon wieder schwarz. Erst mal nach Hause, da steht noch die Pulle, die ihr der nette Polizist gebracht hat. Ja, erst mal durchatmen, nichts überstürzen. Dann wird ihr schon was einfallen, ein paar Gläser Wodka haben ihr Hirn noch immer auf Touren gebracht.
Oda hat Luis aus dem Unterricht holen lassen und ihn in ihr Büro gebracht. Sie hat ihm Zeit gegeben und während der Fahrt geschwiegen. Dass er bis jetzt nicht gefragt hat, warum er hier ist, ist ihr fast schon Beweis genug. Jetzt bringt Frau Cebulla Tee und Kekse, die der Junge einen nach dem anderen isst, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt. Oda beobachtet ihn dabei. Als er schließlich den letzten Keks vom Teller nimmt, sagt sie: »Luis, dies ist kein Verhör. Das kommt noch, deine Mutter möchte sicher, dass du vorher mit einem Anwalt sprichst. Aber vielleicht kannst du mir helfen, Klarheit in die Sache zu bringen. Wir wissen, dass du und deine Familie etwas mit dem Tod deines Freundes Olaf … «
»Olaf ist nicht mein Freund!«, protestiert Luis, wobei ein paar Kekskrümel auf seinem T -Shirt landen.
»Nein? Warum nicht, was hat er getan?«
Luis betrachtet nachdenklich seine Sneakers. Er hat kleine Füße, so wie er überhaupt klein ist für einen Vierzehnjährigen.
»Luis, deine Mutter ist auf dem Weg hierher, sie ist wegen Mordverdachts vorläufig festgenommen worden. Nach deinem Vater wird gefahndet, es wurde von Zeugen beobachtet, wie er Olafs Leiche ausgeladen hat. Du begehst also keinen Verrat, wenn du dich zur Sache äußerst. Ich wüsste gerne von dir, was genau passiert ist und wie es dazu gekommen ist.«
Luis löst den Blick von seinen Schuhen und sieht Oda mit einer Mischung aus Furcht und Trotz an.
»Luis, ich bin nicht dein Feind. Ich möchte dir wirklich helfen, und das ist mein Ernst, das sage ich nicht, um dich reinzulegen. Ich weiß, dass du kein schlechter Junge bist. Wir sollten uns zusammen auf die Befragung durch den Staatsanwalt vorbereiten. Das wäre nicht zu deinem Nachteil, glaub mir.«
Luis hält den Kopf schief wie ein Hund, dem man ein neues Kunststück beibringt, und kaut auf seiner Unterlippe herum. Er scheint abzuwägen, was zu tun ist.
»War Olaf früher mal dein Freund?«, fragt Oda, an der Stelle einhakend, an der Luis zuletzt gesprächig war.
»Nein, das war er noch nie!«, stößt er heftig hervor. »Er war immer schon ein Arsch. Meine Mutter dachte immer nur, er wäre mein Freund. Aber ich durfte nichts gegen ihn sagen, sonst hätte er mich geschlagen oder es wäre was ganz Schlimmes passiert.«
»Was denn«?
Luis zuckt mit den Schultern. »Was Schlimmes eben.«
»So etwas wie das mit eurem ersten Hund? Olaf hat ihn vergiftet, nicht wahr?«
Luis sieht Oda erstaunt an, dann nickt er.
»Warum?«
»Weil ich sein Zimmer nicht aufgeräumt habe. Ich hatte an dem Tag so viele Schularbeiten, da hat mich meine Mutter nicht rübergelassen.«
»Das warst also du. Ich habe den Schrank gesehen, alle Achtung.«
»Das musste ich jede Woche tun«, gesteht Luis, und plötzlich ist es, als hätte man ein Fass angestochen. Unterbrochen von unterdrückten Schluchzern erfährt Oda, wie Luis für seinen ›Freund‹ stehlen musste, hört von idiotischen Mutproben und den schmerzhaften Strafen, die Olaf in seinem Repertoire hatte. Luis war Olafs Sklave gewesen, dafür wurde er von Olaf auf dem Schulhof beschützt. Luis hätte aber lieber ohne diesen ›Schutz‹ gelebt, den er gar nicht brauchte, doch Olaf ließ ihn nicht aus seinen Fängen. Unbemerkt und ungehindert lebte er jahrelang seine sadistische Ader an dem schmächtigen, leicht einzuschüchternden Jungen aus. Eine zusätzliche Repressalie waren Fotos. Olaf hatte Luis irgendwann gezwungen, sich nackt auszuziehen und allerlei kompromittierende, demütigende Posen einzunehmen. Fortan drohte Olaf, diese Fotos auf Schüler- VZ zu veröffentlichen, sollte Luis nicht spuren.
»Und was geschah am Sonntag? Da hast du dich endlich gewehrt, nicht wahr?«
Luis nickt stumm.
»Luis, wir wissen inzwischen auch aus anderen Quellen, dass Olaf ein Mistkerl war. Was ist am Sonntag vorgefallen?«
»Er war an unserem Gartenhäuschen. Davor steht eine Bank, die kann man von Olafs Haus aus nicht sehen. Da hat er sich manchmal hingesetzt und hat geraucht. An dem Abend ist es unserem Hund schlecht gegangen, und ich bin raus und hab ihn gefragt, ob er Emmi was getan hat, ob ich schon wieder was falsch gemacht habe. Ich dachte, wenn er ihr Gift gegeben hat und es
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