Todesspur
Meins ist genau so. Und es hat eine prachtvolle Aussicht auf den Rhein.«
Sie trat ans Fenster. Es war ein strahlend sonniger Tag und sehr kalt. Das Hotel stand direkt am Ufer des Rheins, der sogar hier in seinem Oberlauf schon an die hundert Meter breit war. Am gegenüberliegenden Ufer stand eine Reihe von alten Häusern mit steilen Giebeldächern.
»Sehen Sie nur«, rief sie, »da kommt ein Schleppzug.«
Tweed trat neben sie, und sie sahen zu, wie ein gedrungener Schlepper eine Kette von schweren Kähnen stromabwärts zog. Sie waren mit Containern beladen, und am Heck des Schleppers flatterte die deutsche Flagge.
»Eine herrliche Aussicht«, schwärmte sie. »Aber ich glaube, ich sollte nicht so fröhlich sein nach dieser grauenhaften Sache im Zug. Der arme Schaffner …«
»Er war schon tot, bevor wir wußten, daß etwas passiert war.« Er legte einen Arm um sie. »Wir hätten ihn also nicht retten können. Und jetzt müssen wir die Leute ausfindig machen, die hinter diesem Verbrechen stecken. Aber zuerst – was halten Sie von Mittagessen?«
»Ich habe einen Mordshunger.«
Um zum Fahrstuhl zu gelangen, mußten sie einen mit einem Geländer versehenen Gang entlanggehen, der einen Schacht umgab, durch den man in das darunterliegende Stockwerk hinunterblicken konnte. Kein sehr hohes Geländer, wie Paula feststellte. Als sie den Fahrstuhl betraten, kam Newman aus seinem Zimmer und zwängte sich mit hinein.
Die erste Person, auf die sie beim Verlassen des Fahrstuhls trafen, war
Eve
Amberg.
»Die Welt ist klein, um ein Klischee zu gebrauchen«, begrüßte Eve sie. »Himmel, ist das kalt draußen.«
»Mir gefällt es«, erklärte Newman. »Bei diesem Wetter kann ich besser denken und arbeiten.«
»Wie schön für Sie.« Eve wendete ihre Aufmerksamkeit Tweed zu, nachdem sie Paula kurz zugenickt hatte. »Ich wollte gerade zum Essen gehen.« Sie lächelte ihn liebenswürdig an.
»Ganz allein?« erkundigte sich Tweed.
»Wie die Dinge liegen – ja.«
»Weshalb essen Sie dann nicht mit mir?«
»Wie nett von Ihnen.« Sie warf einen Blick auf Paula und Newman. »Aber Sie haben Ihre Freunde.«
»Ach, das ist schon in Ordnung«, sagte Paula schnell.
»Bob und ich müssen über etwas reden. Das geht besser, wenn wir allein sind.«
Eve sah wieder hinreißend aus und erinnerte Paula an ihre erste Begegnung, im Gegensatz zu der, als sie im Begriff gewesen war, die Villa zum Einkaufen zu verlassen. Sie trug eine maßgeschneiderte blaßgrüne Jacke, einen Minirock und eine hochgeschlossene cremefarbene Bluse. Paula war sicher, daß die Sachen ein kleines Vermögen gekostet hatten.
Als sie Tweed und Eve zum Speisesaal folgten, schaute sich Paula in dem großen Foyer um. Bei ihrem Eintreffen hatte sie aus dem Augenwinkel heraus jemanden dort sitzen gesehen. Der grauhaarige Mann war fort.
Sie betraten den Speisesaal – einen länglichen Raum mit Fenstern an der rechten Seite, hinter denen eine überdachte Veranda lag, die über den Rhein ragte. Tweed deutete darauf, während der Kellner sie zu einem Fenstertisch geleitete.
»Im Sommer kann man dort draußen sitzen, und man hat das Gefühl, als wäre man an Bord eines Ozeandampfers.«
»Ich weiß«, erklärte Eve. »Ich war mit Julius hier, als er in Basel zu tun hatte.« Sie setzte sich. »Was für ein Zufall – daß wir beide gleichzeitig im selben Hotel ankommen.«
»Eigentlich nicht. Dies ist das beste Hotel am Ort, wie Sie bestimmt wissen. Steht schon seit grauer Vorzeit hier, und das Essen und der Service sind hervorragend.«
Wie im Foyer waren auch hier die Wände alt getäfelt, und die behagliche Atmosphäre vermittelte den Eindruck von etwas, das es schon immer gegeben hatte.
»Hier am Fluß stehen Häuser mit geradezu erstaunlichen Baujahren«, bemerkte Tweed, während er die Speisekarte studierte. »Übrigens, weshalb sind Sie in Basel, wenn ich danach fragen darf?«
»Sie dürfen«, erklärte sie und drückte seine Hand. »Ich bin hier, um ein ernsthaftes Gespräch mit Walter zu führen, ihn festzunageln – wegen Geld natürlich. Meinem Geld. Ich habe in der Bank angerufen, und der Mistkerl ist nach Frankreich gefahren.«
»Tatsächlich?« Tweed ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. »Haben Sie eine Ahnung, wohin in Frankreich?«
»Oh, das kann ich Ihnen genau sagen. Walter hat einen Besitz hoch oben in den Vogesen. Ganz abgelegen. Das Chateau Noir. Am einfachsten kommt man dorthin, wenn man mit dem Zug nach Colmar fährt, ein
Weitere Kostenlose Bücher