Todesspur
bedrückend einsam, so fernab von den Dörfern und Weinbergen an den tiefer gelegenen Hängen.
Während der Schnellzug weiter nach Norden donnerte, dachte sie über die Merkwürdigkeiten dieser schönen Region nach. Diese seltsame Mischung aus Deutsch und Französisch, die auch in den Ortsnamen auf der Karte zum Ausdruck kam, die sie sich angesehen hatte. Guebwiller. Ste.
Croix-en-Plaine. Munster. Ribeauville.
1871 hatte das Deutsche Reich Elsaß-Lothringen annektiert, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hatte Frankreich es zurückbekommen. Sie sah weiter aus dem Fenster. Viele der Häuser hatten steile Giebeldächer, von denen der Schnee im Winter leicht abrutschen konnte.
Sie warf einen Blick auf Tweed und stellte fest, daß er leise vor sich hinsummte, was er höchst selten tat. Worüber freute er sich?
»Woran denken Sie?« fragte sie ihn.
»Daß ich mit ein bißchen Glück die beiden Männer treffen werde, die – da bin ich ganz sicher – den Schlüssel zu dieser ganzen gräßlichen Geschichte in der Hand halten.«
»Und die Namen behalten Sie für sich?«
»Joel Dyson, der weiß, daß Amberg im Chateau Noir ist.
Und der, wie ich vermute, unbedingt die Originale seines Films und seines Tonbandes wiederhaben will.«
»Und der andere?«
»Wahrscheinlich der Allerwichtigste. Barton Ives, Special Agent beim FBI…«
»Es gibt etliche ideale Stellen für einen Hinterhalt«, sagte Norton. »Alle hoch oben in den Vogesen. Dort sollte es Ihnen gelingen, Tweed und sein gesamtes Team auf einen Schlag auszulöschen.«
Norton war mit Marvin Mencken zusammengetroffen, weil er ganz sicher gehen mußte, daß dieser keinen Fehler beging. Aber selbst bei dieser ersten persönlichen Begegnung war Mencken klar, daß Norton wußte, was er tat. Obwohl sie dicht beieinander saßen, konnte er Nortons Gesicht nicht sehen.
Der Schauplatz ihrer Unterhaltung war ein kleines Lokal in der Altstadt von Colmar. Norton hatte die Umgebung durchstreift und diesen Ort entdeckt, bevor er mit Mencken telefonierte. Das Lokal war durch einen schweren Spitzenvorhang in zwei Bereiche unterteilt. Auf beiden Seiten standen Tische ganz in der Nähe des Vorhangs.
Die eine Seite war für Gäste reserviert, die essen wollten.
Vor Norton standen ein leerer Teller auf dem sich ein Omelett befunden hatte, und eine Salatschale, dazu ein Brotkorb und eine Flasche Mineralwasser. Er war frühzeitig eingetroffen und hatte das Omelett und Unmengen von Brot verzehrt.
Norton brauchte viel Nahrung als Treibstoff für seine außergewöhnliche Tatkraft. Er hatte seine Mahlzeit beendet, bevor Mencken eintraf, und dem Kellner abgewinkt.
»Später…«
Vor den auf die schmale Straße hinausgehenden Fenstern hingen gleichfalls schwere Spitzenvorhänge. Mencken kam, wie Norton es verlangt hatte, in die andere Hälfte des Lokals, ließ sich ein Glas Weißwein geben und ging damit zu einem Tisch dicht neben dem von Norton, aber auf der anderen Seite des Vorhangs.
Ja, dachte Mencken, Norton war clever. Das Gesicht, in das er schaute, war durch den Spitzenvorhang nur verschwommen zu erkennen. Norton trug eine Baskenmütze, unter der er sein graues Haar versteckt hatte. Außerdem trug er einen Anorak und einen Schal, der sein Kinn verdeckte. Die Augen, die Mencken anstarrten, waren kalt und einschüchternd. Die Straßenkarte wurde so gehalten und gegen den Vorhang gedrückt, daß Mencken sie deutlich sehen konnte.
»Jedes Kreuz auf dieser Karte bezeichnet eine der möglichen Stellen für einen Hinterhalt«, fuhr Norton fort. »Sehen Sie dieses hier in Kaysersberg?«
»Ich habe mir selbst eine Karte angesehen. Der Ort liegt nicht weit von Colmar entfernt…« »Hören Sie mir gefälligst zu. Das Kreuz markiert eine Brücke. Wenn sie auf dieser Route in die Vogesen fahren, könnten Sie unter der Brücke einen Sprengsatz anbringen und ihn durch Fernsteuerung zünden.«
»Okay«, sagte Mencken ungeduldig. »Ich war in Eisenwaren- und Elektrogeschäften, bevor ich von Basel abgefahren bin. Ich habe die erforderliche Ausrüstung zum Herstellen eines Zünders – ziemlich primitiv, aber er wird funktionieren.«
»Dieses Kreuz hier bezeichnet einen Steinbruch – an der Strecke von Colmar nach Basel. Dort steht ein Schuppen mit Sprengstoff.«
»Den habe ich auch gesehen. Mir entgeht nicht viel. Das Aufknacken dürfte ein Kinderspiel sein …«
»Hören Sie mir gefälligst zu! Tweed und seine Leute können jeden Moment hier in dieser Gegend eintreffen – er
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