Todesstoß / Thriller
gerade der geldgeile Dreckskerl am Telefon?«
»Nein. Das war der Dachdecker, der keine Dächer deckt. Er redet nur mit Leuten, die ein neues Dach wollen. Wer, Herrgottnochmal, braucht denn ein nagelneues Dach?«
»Du zum Beispiel. Du solltest sowieso keine Reparaturen für ein Haus bezahlen, das dir nicht gehört. Das liegt einfach nicht in deiner Verantwortung. Wenn du Pech hast, verstößt du mit eigenmächtigem Handeln sogar gegen das Gesetz.«
»Tja, die Frage ist ohnehin müßig, da niemand das verdammte Ding ausbessert. Ich komme langsam zu dem Schluss, dass man Dachdecken lernen kann. In letzter Zeit habe ich mich schließlich bereits recht erfolgreich als Klempnerin und Elektrikerin betätigt …«
Callie riss die Augen auf. »Du hast doch wohl nicht vor, das Dach selbst zu reparieren? Du magst doch keine Höhen.«
»Aber Myron mag ich noch weniger. Ich habe übrigens heute Morgen schon einen alten Freund angerufen, um ihn zu fragen, wie man so etwas macht.«
»Und was hat er gesagt?«
»Nichts. Ich habe ihm nur auf Mailbox gesprochen. Er wird mich anrufen, wenn seine Schicht zu Ende ist.«
»Kennst du ihn aus der Bar?«
»Nein, von Zuhause noch. Er ist Feuerwehrmann.«
»Du fasst dir immer an die Narbe, wenn du von Chicago sprichst«, bemerkte Callie plötzlich leise.
Eve zog abrupt die Hand von ihrer Wange weg. »Was der Grund dafür ist, dass ich so selten darüber rede.«
»Fehlen sie dir denn nicht?«, fragte ihre Freundin. »Deine Leute in Chicago, meine ich?«
Dana, Caroline und Mia. Der Gedanke an sie und ihre wachsenden Familien weckte schmerzhafte Sehnsucht in Eve. Kein Tag verstrich, ohne dass sie ihr fehlten. »Doch. Aber ich konnte nicht bleiben.« Denn zu bleiben hätte bedeutet, sich ewig erinnern zu müssen. Und sich im Dunkeln zu verstecken.
»Na ja, wenigstens ist Tom hier«, sagte Callie. »Und ich. Ich helfe dir allerdings nicht bei deinem Dach.«
»Tom hat es mir schon angeboten. Er hat gesagt, er bringt ein paar Kumpels mit, sobald die Saison vorbei ist.«
Callies Lächeln wurde spitzbübisch. »Tom Hunter und eine Handvoll College-Basketballspieler. Auf deinem Dach. Im tiefsten Winter. Warte doch bis zum Sommer, dann arbeiten sie mit nacktem Oberkörper.«
»Wenn ich bis zum Sommer warte, steht mein ganzes Mobiliar unter Wasser, und Myron Daulton hat gewonnen. Ich muss jetzt los. Ich habe in fünfzehn Minuten ›Abnormes‹.« Sie wollte ihren Laptop zuklappen, hielt aber inne. Abrupt. »O mein Gott«, murmelte sie, den Blick auf ihren Posteingang fixiert.
»Eve? Wer ist Martha Brisbane und warum hast du ihren Namen bei Google Alert eingegeben?«
Eve hatte Martha bereits vor einer Woche als Anfrage bei dem Alert-Dienst angemeldet – da war sie zwei Tage lang nicht in Shadowland erschienen. Sobald der Name im Internet erwähnt wurde, bekam Eve eine Mail.
Und Martha Brisbanes Name war in der Tat aufgetaucht. Eve spürte das Pochen ihres Herzens, als sie den kurzen Artikel las, der heute im
Mirror
erschienen war.
Martha Brisbane,
42
, wurde vergangene Nacht tot in ihrer Wohnung gefunden. Die Polizei geht von einem Selbstmord aus, da Brisbane sich erhängt hat.
Der Artikel fuhr mit der Selbstmordstatistik der Twin Cities fort, aber Eve konnte nur die eine Zeile lesen.
Selbstmord. Das hätte ich kommen sehen müssen. Ich hätte es verhindern müssen.
Aber Martha hatte schon Monate vor Beginn der Studie achtzehn Stunden täglich in Shadowland verbracht. Wer konnte wissen, was sie ausgerechnet jetzt dazu getrieben hatte, Selbstmord zu begehen? Dennoch … sie war tot.
Und Eve durfte nicht einmal wissen, dass sie existierte.
»Eve?« Callie tippte ihr leicht auf die Schulter. »Wer ist diese Frau?«
»Jemand, den ich kenne.«
Jemand, den ich nicht kennen dürfte.
Eve klappte den Laptop resolut zu. »Ich muss jetzt los.«
Callie blieb, wo sie war, und musterte ihre Freundin eingehend. »Willst du auf die Beerdigung gehen?«
Sie schob den Laptop in die Tasche. »Wenn ich herausfinden kann, wann und wo sie stattfindet, ja.«
»Soll ich dich dann begleiten?«
Eve sog bebend die Luft ein. »Ja. Danke.«
»Okay. Und du versprichst mir dafür, dass du nicht aufs Dach kletterst.«
Eve brachte ein kleines Lächeln zustande. Das Dach war im Augenblick ihre geringste Sorge. »Versprochen.«
Montag, 22. Februar, 9.40 Uhr
»Danke, dass Sie sich die Zeit für uns nehmen.« Jack legte seinen Hut neben Noahs auf den Couchtisch.
Mrs. Altman hatte die Hände fest im
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