Todesstunde
Morales’ Mutter und Angela Cavutos Mutter Alicia haben beide dieselbe Schule besucht, das John Jay College für Strafrechtspflege.«
»Heiliger Strohsack!«, fluchte sie. »Warte.« Sie blätterte ein paar weitere Seiten durch. »Hier. Genau hier steht’s! Stephanie Brill, das Mädchen, das beim Bombenattentat am Zeitungskiosk in der Grand Central Station starb, besuchte ebenfalls das John Jay College. Ihre Stiefmutter sagte, sie sei dann aber von der Schule geflogen. Ist das eine städtische Schule?«
»Ja. Und jetzt denk einen Schritt weiter. Strafrechtspflege – das passt doch genau zu jemandem, der von Verbrechen besessen ist. Das ist es, Emily. Ich rufe unser Team und Miriam an. Wir müssen morgen als Erstes die Mütter zusammentrommeln.«
64
Um halb neun am nächsten Morgen saßen Emily und ich an meinem Schreibtisch und lasen bei einer gemeinsamen Dose Red Bull die Fallakten noch einmal durch.
Ab und zu hob ich den Kopf und blickte auf Emilys noch immer feuchtes, rotbraunes Haar. Ja, endlich konnte ich den Kopf wieder heben. Jetzt, nach unserem so dringend benötigten Durchbruch, ging es bergauf.
Als ich das nächste Mal zu ihr hinüberblickte, fragte ich mich, wie sich ihr BH-Träger unter ihrer weißen Bluse anfühlen mochte.
Auch der Lausbub in mir schien wieder zu neuem Leben zu erwachen. Der böse Lausbub. »Was ist los?« Sie drehte sich um – und hatte mich erwischt. Auch manche FBIler haben es offenbar faustdick hinter den Ohren.
»Kaffee?«, fragte ich und schüttelte die leere Red-Bull-Dose, ohne zu blinzeln.
Ich hatte mir gerade zwei Becher geschnappt, als Miriam durch die verbeulte Tür in unser Großraumbüro trat.
»Sie müssen ein paar Telefonate erledigen und die Frühbesprechung absagen«, verlangte ich, bevor sie in ihrem Büro verschwand. »Haben Sie meine SMS-Nachrichten bekommen?«
»Keine Sorge.« Sie ließ ihre Tasche auf ihren Schreibtisch fallen. »Die habe ich bekommen. Alle acht. Jetzt sagen Sie mir nur eins: Was ist, wenn diese John-Jay-Sache nur eine Scheinverbindung ist, Mike? Was ist, wenn nichts dabei herauskommt?«
»Dann werden wir wie geplant von dem Fall abgezogen«, antwortete ich. »Was haben wir zu verlieren?«
»Ich weiß nicht. Meine nächste Beförderung?«, antwortete sie düster.
Ich ging in dem Wissen, dass sie nur Witze machte. Mehr als meine Chefin konnte man nicht hinter mir stehen. Sie hatte nicht ein einziges Mal gemeckert, wie wenig Fortschritte wir machten, obwohl sie von oben Druck bekam. Und das angesichts der Tatsache, dass unser Büro nur eine kurze Fahrstuhlfahrt von dem des Polizeipräsidenten über uns entfernt lag.
Emily und ich ließen keinen Moment verstreichen, um auf der morgendlichen Strategiebesprechung den Rest der Sondereinheit über unsere neuste Theorie zu informieren. Sogar die meisten Kollegen, die aus der Nachtschicht eintrafen, blieben noch.
»Bei der Durchsicht der Fälle haben Detective Bennett und ich unterschiedliche Typen von Täterpersönlichkeiten gefunden, die nicht zusammenpassen«, begann Emily vor der vollen Anschlagtafel. »Deswegen haben wir uns die Fälle genauer angesehen und eine Verbindung zwischen den Opfern gesucht, und gestern Abend sind wir fündig geworden, wie wir glauben.«
»Und zwar?«, fragte Detective Schaller von Brooklyn North.
»Wir sind uns noch nicht ganz sicher«, fuhr ich fort. »Aber das Bombenopfer vom Grand Central, Stephanie Brill, ging zur selben Zeit aufs John Jay College für Strafrechtspflege wie sowohl die Mutter des ermordeten kleinen Mädchens, Angela Cavuto, als auch die Mutter des Opfers der Messerstecherei in der Bronx, Aida Morales.«
»Die Mütter der Opfer gingen aufs John Jay College?«, vergewisserte sich unser Neuling, Detective Terry Brown. »Dann bringt unser Mörder die Kinder vielleicht aus Rache oder so was um? Echt krass.«
Im vollen Raum wurde wirr durcheinandergeredet, doch auch einige Kollegen von der Polizei und dem FBI nickten nachdenklich. In unseren offenen Treffen gab es nicht viele Mauerblümchen, sondern nur vorlaute Profis. Aber keiner von ihnen konnte einen einleuchtenden Grund vorbringen, dass meine Idee schwachsinnig war. Das war ein gutes Zeichen. Vielleicht hatten wir jetzt eine Spur gefunden.
Zu früh gefreut, dachte ich, als sich eine geschniegelte junge ATF-Agentin räusperte, die unserer Sprengstoffeinheit den Rücken stärken sollte. »In New York City gibt es tatsächlich ein College für Strafrechtsjustiz?«, fragte
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