Todessymphonie (German Edition)
Potenzial in ihm, von dem Baldwin nicht einmal wusste, dass er es hatte. Er warb ihn fürs FBI an, was Baldwin nie bereut hatte. Er war jetzt Supervisory Special Agent, und Garrett der Leiter der Behavioral Science Unit.
Baldwin wiederum hatte Wills rekrutiert. Abgesehen von ein paar Leuten aus Hampden-Sydney, wo er zur Schule gegangen war, war Wills sein ältester Freund.
Nicht alle seine Profiler hatten Doktortitel oder eine medizinische Ausbildung. Er hatte früh entdeckt, dass Instinkt nicht gelehrt werden konnte – manche Menschen hatten ihn, andere nicht. Appleby war einer der wenigen Psychiater, die auch Profiler waren; die meisten von Baldwins Mitarbeitern waren ehemalige Polizeiangestellte. Es war einfacher, ihnen die psychologischen Komponenten des Profilings beizubringen, als ihren Instinkt zu trainieren. Praktische Erfahrungen in Ermittlungen, das Lesen eines Tatorts, die instinktive Fähigkeit, ein Gewaltverbrechen in seinem vollen Umfang aufzunehmen, all das konnte man nicht beibringen. Seine Rekruten durchliefen allesamt ein ausführliches, intensives Ausbildungsprogramm. Nur sehr wenige blieben dabei auf der Strecke – er war inzwischen gut darin, herauszufinden, wer gut zu dieser Art von Arbeit passte.
Bis auf einmal. Als er eine Frau namens Charlotte Douglas anheuerte, hatte er einen kolossalen Fehler gemacht.
Unbewusst war er vor dem Büro stehen geblieben, das einst ihres gewesen war. Charlotte hatte sie alle hinters Licht geführt. Sie hatte jeden psychologischen Test des FBI bestanden, war in der Position des Deputy Chief stellvertretende Leiterin der BAU Zwei gewesen. Und die ganze Zeit über hatte sie die Mittel, die den Mitarbeitern des FBI zur Verfügung standen – vor allem CODIS und ViCAP –, genutzt, um Mörder aufzuspüren, an denen sie für ihre eigenen Belange interessiert war.
Gerüchte kursierten, dass Charlottes Computer Material enthielt, das genutzt werden konnte, um bestimmte Agents zu erpressen. Die Untersuchungen liefen noch. Auf Nimmerwiedersehen, dachte Baldwin, doch es tat ihm sofort leid, wie so oft, wenn er an Charlotte dachte. Sie war auf vielen, vielen Ebenen gefährlich für ihn.
Er würde gerne wissen, was ihre kleinen Ordner über ihn sagten. Exliebhaber, so viel stand fest. Er war sich sicher, dass sie vermutlich jede Minute seiner Zeit mit ihr dokumentiert hatte, auch wenn es nur eine sehr kurze Beziehung gewesen war. Aber welche anderen Geheimnisse hütete Charlotte? Sie war eine brillante Frau, ihre Datenverschlüsselung war beinahe unmöglich zu knacken gewesen. Sie hatten bisher nur auf ungefähr ein Drittel dessen, was Charlotte auf ihrem Computer gespeichert hatte, zugreifen können. Es war, als wäre sie ein Codex aus früheren Zeiten, als Codes noch nicht zu entschlüsseln waren, weil sie in einer toten Sprache geschrieben wurden, die niemand mehr entziffern konnte. Charlottes Verstand war ein unentdecktes Land.
Er schüttelte sich, um die Gedanken zu verscheuchen, und sah, dass eine seiner Kolleginnen, Dr. Pietra Dunmore, ihn anschaute. Er fing den Blick aus ihren seidig-braunen, tief zurückliegenden Augen auf und erkannte, dass sie genau wusste, woran er gedacht hatte. Doch sie war zu höflich, um ihn darauf anzusprechen und nickte nur. Sie hatte auch eng mit Charlotte zusammengearbeitet.
„Du solltest längst im Bett sein.“
„Ha“, sagte Pietra. Sie schenkte ihm ein verzagtes Lächeln. „Boss, ich habe die DNA-Proben von Taylor Jackson in CODIS überprüft. Der Mord in Chattanooga war ein Treffer. Ich weiß nicht, warum er nicht aufgetaucht ist, als wir die DNA von London und Florenz haben durchlaufen lassen. Ich habe dem Datenbankteam einen entsprechenden Hinweis geschickt, der Sache nachzugehen.“
Baldwin seufzte. „Könnte einer der Fälle sein, bei denen Charlotte ihre Finger im Spiel hatte. Dann wurde die Anfrage zu ihrer privaten Datenbank umgeleitet.“
„Das ist gut möglich. Wir finden es heraus. Aber Il Macellaio ist definitiv für mindestens einen der vier Morde in Nashville verantwortlich. Derzeit läuft noch eine andere DNA-Prüfung von dem gestrigen Fall, aber die Ergebnisse bekomme ich nicht vor morgen.“
Baldwin wusste nicht, ob er stöhnen oder jubelnd die Faust in dieLuft strecken sollte. Es war das Ergebnis, das sie erwartet hatten, aber es warf ihr bisheriges Profil über den Haufen. Memphis’ Annahme, Il Macellaio sei gemischtrassig, war sehr vorausschauend gewesen. Es war die einzig logische Erklärung,
Weitere Kostenlose Bücher