Todessymphonie (German Edition)
wieso er sowohl weiße als auch schwarze Frauen umbrachte.
„Verhungern, erwürgen und Nekrophilie. Das ist echt ein kranker Typ.“ Pietra sah verärgert aus – Baldwin konnte das verstehen. Sie passte perfekt ins Opferprofil der amerikanischen Morde, denn sie war zierlich und schwarz.
Baldwin fuhr sich mit den Händen durch die Haare und sagte: „Okay, lass mich das ins offizielle Profil mit eintragen. Ich arbeite schon die ganze Zeit parallel mit dieser Theorie, nur für den Fall. Wird nicht länger dauern als eine halbe Stunde.“
„Ich helfe dir gerne.“
„Ist schon okay. Morgen wird ein langer Tag. Sieh zu, dass du noch ein wenig Schlaf abbekommst.“
„Wie du meinst, Boss.“ Sie ging den Flur entlang zum Ausgang. Schon wieder tief in Gedanken versunken, setzte Baldwin seinen Weg zu Garrets Büro fort.
Der Mörder hatte bei seinen Reisen über den Atlantik seinen Modus Operandi definitiv verändert. Die Morde von Florenz und die beiden letzten Morde in Nashville waren am ausgefeiltesten. Die Londoner Morde kamen ihm mehr wie Verbrechen aus Gelegenheit vor. Il Macellaio lebte damals in Florenz, wo er sich auskannte. Was bedeutete, dass er auch in Tennessee ein Zuhause haben musste. Einen privaten Ort. Ein eigenes Zimmer.
Die Londoner Morde waren nur zur Übung gewesen. Irgendetwas hatte ihn dorthin geführt – die Arbeit, eine Frau, Urlaub. Il Macellaios Triebe waren so übermächtig geworden, dass sein Drang zu töten ihn überwältigt hatte. Obwohl er weit weg von seinem Heimatort war, außerhalb seiner Komfortzone, konnte er damit nicht warten, bis er wieder nach Florenz zurückkehrte. Drei Monate, so lange hatte die Mordserie angedauert. Okay, er hatte also drei Monate lang in London gelebt oder war zumindest regelmäßig zu Besuch dort gewesen. Was aber hatte ihn nach Tennessee verschlagen?
Baldwin trödelte. Er ging ans Ende des Flurs zum Büro seines Bosses. Garrett war im Moment in Washington D. C., aber Baldwinwusste, dass er eine Flasche in seinem Schreibtisch versteckt hatte. Der Kopf der Behavioral Science Unit war auch ein Scotch-Mann. Normalerweise bewahrte er ihn in der unteren linken Schublade auf; ja, da war er. Dewar’s White Label. Baldwin schüttelte die Flasche. Mehr als genug für einen Absacker.
Er kehrte zu seinem Büro zurück. Dieser Fall nagte an ihm. Vielleicht verlor er langsam seinen Instinkt. Seinen Fokus. Er hatte lange gegen die Erkenntnis angekämpft, dass er mit Taylor in seinem Leben sich mehr und gleichzeitig weniger um seinen Job scherte als jemals zuvor. Jede Minute, die er von ihr getrennt verbrachte, war zu lang. Vielleicht trübten seine Gefühle sein Urteilsvermögen. Vielleicht müsste er seine Rolle im BAU neu überdenken, seine Motivation, seine Ziele. Überprüfen, ob er wirklich in diesem Job bleiben oder Vollzeit zurück nach Nashville ziehen wollte. Oder versuchen, Taylor zu überzeugen, seinem Team in Quantico beizutreten, wo er ein Auge auf sie haben konnte. Der Pretender würde nicht aufgeben, bis er sie beide zerstört hatte. Könnte er damit leben, wenn ihr etwas zustieße? Auf keinen Fall. Das wäre sein endgültiger Untergang.
Er schob diese Gedanken mit aller Macht beiseite. Er würde sich ihnen wieder zuwenden, sobald dieser Fall vorbei war. Il Macellaio verfolgte ihn. Irgendetwas übersah er. Irgendetwas Wichtiges, das ihnen alle Antworten liefern würde.
Aber was?
Memphis schlich durch Baldwins Büro. Dabei fiel ihm das gerahmte Bild auf dem Schreibtisch ins Auge. Es war ein unglaublich entzückendes Bild von Taylor, das ihre strahlende Haut, ihre honigblondes Haar, die grauen Augen und weichen Lippen gut zur Geltung brachte. Sie lächelte verträumt und war sich der Kamera überhaupt nicht bewusst gewesen, das sah er sofort.
Gott, sie sah Evan so ähnlich.
Ja, die Augen hatten die falsche Farbe, aber der Mund, der fordernde Blick. In den Schatten von Taylors Gesicht konnte er Evan sehen.
Er vermisste sie bereits. Er war sich nicht sicher, was ihn an Taylor Jackson so anzog. Ihr Gesicht. Ihre Intelligenz. Die Tatsache, dass sie lebte und Evan tot war? „Scheiße“, sagte er leise.
Endlich kehrte Baldwin mit einer Flasche Dewar’s und zwei geschliffenen Kristallgläsern zurück. Eins musste man dem Mann lassen, er hatte Geschmack.
Baldwin stellte die Gläser auf den Tisch und goss in jedes drei Finger hoch Whiskey.
„Alkohol im Dienst?“, fragte Memphis.
„Könnte uns beiden helfen, zu schlafen“, erwiderte
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