Todessymphonie (German Edition)
seine alten Triebe wieder zum Leben erweckten. Morte schenkte ihm neue Macht, neue Sehnsüchte. Erlaubnis. Ermutigung. Er wollte Morte zeigen, dass er genauso gut war wie er. Was sollte er nur ohne ihn tun? Er musste einen Weg finden, Mortes Freundschaft zurückzugewinnen.
Vor ihm tauchte die massige, doppelte Bogenbrücke aus Beton auf, die den Natchez Trace Parkway über den Highway 96 hinübertrug. Er bewunderte ihre Größe, die Schönheit der Linien, die Eleganz der Kurven, die denen einer Frau glichen. Er war beinahe an der Brücke, als er ein Auto am Straßenrand sah. Ein Auto und eine Frau.
Sein Pulsschlag beschleunigte sich. Aus Reflex bremste er seinen Prius ab. Sie winkte ihm zu. Gestikulierte. Er konnte nicht glauben, was er sah. Sie war umwerfend: schmale Hüften, zarte Gesichtszüge, langes, geflochtenes Haar. Er hielt hinter ihrem Auto an. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Sie kaum auf ihn zu. Ihre schlanken Hüften wiegten sich. Ihre Haut hatte die Farbe von Mokka mit Sahne. Lieber Gott, war das ein Zeichen? Er war wie erstarrt.
Sie klopfte an sein Fenster. Als ihre Blicke sich trafen, wusste er es.
Er drückte auf den Knopf, und das Fenster fuhr mit einem leisen Flüstern herunter.
„Gott sei Dank, dass Sie angehalten haben. Ich stehe hier schon seit zwanzig Minuten und habe keine Menschenseele getroffen!“ Sie lächelte ihn offen und freundlich an. Er wusste nicht genau, was er sagen sollte. Aber das musste er auch gar nicht, denn sie sprach schnell weiter.
„Können Sie mich mitnehmen? Mein Auto hat kein Benzin mehr, und der Akku meines Handys ist leer. Mein Dad ermahnt mich immer, dass ich nicht vergessen soll, es zu laden, aber das habe ich leider. Hey, cool, ein Prius.“
Das Mädchen ging zur Beifahrerseite. Gavin sah einfach nur zu. Er wusste, dass er die Augen weit aufgerissen hatte und aussehen musste wie ein Idiot. Schnell brachte er seine Gesichtszüge inOrdnung, sodass er einigermaßen freundlich aussah, und öffnete die Beifahrertür von innen.
Das Mädchen glitt auf den Sitz und stellte ihren Rucksack vor sich im Fußraum ab. „Also, was für Musik haben Sie dabei?“
Sie griff nach seinem iPod. Gavin hielt sich zurück. Er mochte es nicht, wenn jemand seine Sachen anfasste, aber das hier war ein Geschenk. Ein Zeichen. Das hier war seine Chance . Er schluckte und schaffte es irgendwie, die Worte herauszubringen.
„Alles Mögliche. Wo musst du denn hin?“
Das Mädchen legte ihren Kopf schief wie ein Cockerspaniel. „Bellevue. Ich war auf dem Weg zum Y. Ich bin da Rettungsschwimmerin und viel zu spät für meine Schicht. Vermutlich werden sie mich rausschmeißen. Hey, kenne ich Sie nicht irgendwoher? Ich hab Sie da schon mal gesehen, oder?“
Oh Gott, was sollte er darauf antworten? Sollte er es zugeben? Was, wenn … Beinahe hätte er vor Freude laut aufgelacht. Er konnte ihr alles erzählen. Er könnte auch lügen. Er könnte ihr eine bunte Mischung an Lügen auftischen, und sie würde es nie erfahren.
Er legte den Gang ein. „Das Y. Ja klar. Ich glaube, ich hab dich auch schon mal gesehen.“ Da war sie schon, die erste Lüge. Er hatte das Mädchen noch nie in seinem Leben gesehen. Und doch war sie hier. Ein Geschenk ohne Schleifchen. Schweiß brach ihm auf der Stirn aus. War das ein Test? Oder handelte es sich um die beste aller Gelegenheiten?
Das Mädchen beschwerte sich über die Playlist auf seinem iPod. Warum hatte er keine coole, hippe Musik? Hatte er nicht wenigstens was von Ashanti oder Run DMC?
„Ich mag klassische Musik“, erwiderte er.
„Das ist lahm.“ Sie schmollte. Beinahe hätte er gelacht, dann fiel ihm auf, dass er seit sehr, sehr langer Zeit nicht mehr gelacht hatte. Das musste Schicksal sein. Dieses Mädchen, sein Geschenk, seine Puppe, hatte ihn zum Lächeln gebracht.
„Wie heißt du?“, fragte er.
„Kendra. Kendra Kelley. Und Sie?“
In dem Moment traf er eine Entscheidung, auch wenn ihm das erst viel später auffallen sollte. „Gavin Adler.“
„Gavin. Cooler Name. Hey, Sie haben gerade den Abzweig verpasst. Sie müssen dort entlangfahren.“
Er ignorierte sie. Weniger als zwei Meilen und er könnte sie bei sich zu Hause haben. Endlich nahm er sich einen Augenblick Zeit, um auf die Stimme in seinem Kopf zu hören. Das wäre nicht klug. Überhaupt nicht klug. Du hast nichts vorbereitet. Du weißt nichts über sie. Sie könnte vermisst gemeldet werden. Tu’s nicht.
Die Wut über die grobe Behandlung von Morte brannte auf
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