Todestanz
hat.«
Sie legte den Kopf schief wie ein kleiner alter Spatz. »Eigenartig.«
Das Rumpeln eines Lasters, der die StraÃe heraufkam, dazu hämmernde Musik.
Clare öffnete das Fenster und lieà einen Schwall kalter Luft und noch lauterer Musik herein.
»Oh«, sagte Joan Levy. »Ich dachte, es wären die Müllmänner, aber die waren am Freitagabend da. Und am Samstagmorgen.«
»Ich bin ihnen begegnet«, sagte Clare. »Wann kommen sie denn gewöhnlich?«
»Freitags. Ich habe sie gehört, während ich meinen Tee gemacht habe. Das war zur gewohnten Zeit. Wenn ich mich recht besinne, habe ich vor allem ihre Musik gehört.«
»Was haben Sie sonst gehört?«, fragte Clare.
»Der Fernseher lief, aber ohne Ton, weil meine Serie noch nicht angefangen hatte â ich hasse diese Reklame. Dann ging ich auf den Balkon â¦Â«
»Ist Ihnen dabei irgendetwas aufgefallen?«, unterbrach Clare.
»Es tut mir leid, meine Liebe«, sagte Mrs Levy, »aber ich habe nicht besonders Acht gegeben.«
»Vielleicht haben Sie irgendetwas gehört?«, hakte Clare nach. »Vielleicht hat der Wind zwischendurch nachgelassen?«
»O ja.« Mrs Levy schloss die Augen. »Ich hörte den Bus, der die Angestellten vom Heim nach Hause bringt. Ich hörte die Eltern in ihren teuren Automobilen, die ihre Kinder abholen kamen; die Lehrer, die in ihren billigen Autos nach Hause fuhren. Dann hörte ich die Ballettmädchen. Danach war es eine Weile still. Dann kam der Müllwagen. Man kann sie von hier aus hören, weil die Müllmänner immer so brüllen, wenn sie den Hügel heraufkommen. Sie können sie auch jetzt hören.«
»Und das war alles?«
»Das Taxi. Es war, als hätte jemand kurz die Tür aufgemacht, und diese grässliche amerikanische Musik dröhnte heraus, die, in der es nur um Waffen und Morde und Frauen mit albernen Namen geht.« Mrs Levy zog sich aus ihrem Sessel hoch und öffnete die Tür zu dem schmalen Balkon. Er
war mit Pflanzen vollgestellt, die den Blick auf die StraÃe unten verwehrten. »Ich wollte dem Fahrer gehörig die Meinung sagen, aber da war der Wagen schon wieder weg.«
Clare trat nach drauÃen und stellte sich neben Mrs Levy, die daraufhin nach Clares Hand griff. Die StraÃe war leer bis auf ein paar Pflegekräfte, die auf ihr Minibus-Taxi warteten, und einen alten Mann, der auf der anderen StraÃenseite den Bürgersteig vor dem Kramat fegte.
»Sie sollten das Mädchen bald finden, junge Dame, sonst werden diese Leute es umbringen. So machen es die Männer in diesem Land mit den kleinen Mädchen. Sie jagen sie, spielen mit ihnen, ergötzen sich an ihrem Weinen und töten sie zuletzt.«
»Ich weië, sagte Clare. »Ich weià das nur zu gut. Danke, dass Sie so viel Zeit für mich hatten.«
Die Aufzugtüren glitten schon zu, als Mrs Levy Clare noch einmal zurückrief.
»Dr. Hart.«
Clare stellte den Fuà in die Tür und zwang sie damit wieder auf.
»Mir ist gerade noch etwas eingefallen.« Mrs Levy lächelte selbstzufrieden.
Clare stand sofort an ihrer Tür.
»Es ist nur ein Fitzelchen«, meinte sie zaghaft.
»Ich habe nichts als Fitzelchen«, sagte Clare.
»Ich entsinne mich, dass es später noch mal hier war. Als es schon dunkel wurde.«
»Was denn?«, fragte Clare.
»Da habe ich es noch einmal gehört. Ganz bestimmt. Aber von viel weiter weg. Ich war überrascht. Dieselbe schreckliche Krachmusik. Sie kam von dort drüben.« Sie deutete hügelabwärts auf ein mit Ein- und Mehrfamilienhäusern bebautes Wohngebiet.
»Es war schon spät, und ich war so wütend, dass ich den Wachmann rief.«
»Wissen Sie noch, wann das war?«
»O ja«, beteuerte Mrs Levy. »Das war kurz nach halb sieben. Ich skype jeden Freitagabend um Viertel vor sieben mit meinem Sohn in Vancouver. Ich wartete auf seinen Anruf und hatte deshalb die Ohren gespitzt. Da habe ich es wieder gehört. Mit dieser grässlichen Musik. Nur wenige Sekunden, genau wie beim ersten Mal. Als hätte jemand kurz eine Tür geöffnet.«
»Das Taxi?«, fragte Clare verdattert.
»Ja, natürlich«, sagte Mrs Levy ungeduldig. »Der Taxifahrer macht nichts als Ãrger. Er heiÃt Moegmat. Bestimmt stellt er die Musik absichtlich so laut, weil hier ein jüdisches Altenheim
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