Todeswald
eine Beule auf Mamas Schulter, auf Papas Schoß, mit angezogenen Beinen zwischen ihnen auf dem Sofa. Im Hintergrund waren keine Freunde mehr zu sehen.
Mama trifft ihre alten Freundinnen immer noch. Dann trinken sie zusammen Wein und lachen bis spät in die Nacht. Aber immer nur unter der Woche.
Wenn Papa am Freitagabend nach Hause kommt, freut er sich auf ein gutes Essen, ungestört, nur mit seiner Familie. Samstags und sonntags mag er auch keine Leute treffen. Er hat immer viel zu tun, Fenster, die gekittet und gestrichen, Scharniere, die geölt werden müssen.
Dabei darf ich ihm nie helfen.
Wenn ich ein Junge wäre, würde er mich bestimmt auch bei diesen Sachen um Hilfe bitten. Davon bin ich überzeugt, obwohl Mama behauptet, ich würde mich irren. Sie sagt, Papa liebe mich über alles. Er vergöttere mich.
Das glaube ich allerdings nicht.
Wenn er jemanden vergöttert, dann Mama.
Als Zugabe gab’s ein Kind. Und das wurde dann ein Mädchen.
Und jetzt will er nicht einmal mehr mit mir schwimmen gehen oder mich in der Garage mithelfen lassen.
Ich hasse ihn!
KAPITEL 9
Als ich am nächsten Morgen aufstand, war Papa nicht zu Hause. Ich war immer noch sauer auf ihn, darum fragte ich Mama gar nicht erst, wo er war. Ich ging in die Garage, um mir das Auto anzuschauen, doch die Garage war leer.
Mama und ich räumten im Haus auf und machten Besorgungen, wie immer samstags, aber vorher rief ich Jo an. Ich brauchte nicht lange, um sie dazu zu überreden, mich am Abend zur Disco zu begleiten. Im Gegenteil. Wenn sie nicht mit ihren Pferden bei irgendwelchen Turnieren unterwegs ist, geht sie oft in die Disco, aber dann meistens in der Innenstadt, zusammen mit ihrer Cousine Leia.
Mikaela hatte sich nicht gemeldet, aber Jo versprach, mir bei der Auswahl meines Outfits zu helfen.
Zwei Stunden bevor die Disco anfing, kam Jo zu mir nach Hause. Als sie mich in Jeans und T-Shirt erblickte, schüttelte sie ihre glänzenden schwarzen Locken. Sie selbst, in schwarzem Top und enger schwarzer Hose, sah umwerfend aus.
„So geht das auf keinen Fall“, sagte sie entschieden.
„Ich mag Jeans.“
„Und ich mag Pferde. Aber deshalb schleppe ich sie nicht gleich in die Disco mit.“
Sie durchwühlte meinen Kleiderschrank und zog zu guter Letzt einen Rock und ein Top heraus, die Gnade vor ihr fanden. Dann musterte sie meine Haare und mein Gesicht und seufzte tief.
Ich nahm es ihr nicht übel. Doch, vielleicht ein bisschen .
Aber eine Stunde später, als ich das hübsche Mädchen im Spiegel sah, vergab ich ihr. Jo hatte Wunder vollbracht. Ich konnte kaum glauben, dass ich das war. Weiche blonde Locken und große blaue Augen. Ich glitzerte förmlich. Sogar mein Zimmer glitzerte.
Bald entdeckte ich, dass das Glitzern von der Schminke kam, mit der Jo meine Wangen betupft hatte und auch sonst einiges.
Als wir nach unten kamen, saßen meine Eltern auf dem Sofa.
„Oh, wie hübsch ihr seid!“, rief Mama aus. „Du wirst doch hoffentlich von irgendjemandem nach Hause begleitet?“
„Begleitet?“, fragte ich und wurde rot.
Natürlich dachte ich dabei an Linus.
„Nach Mikaela wird inzwischen gesucht“, erklärte Mama. „An den Laternenpfählen hängen Zettel mit einem Foto von ihr und einer Telefonnummer.“
„Die Polizei?“
„Mikaelas Mutter und Samuel. Wie schrecklich einfach nur warten zu müssen.“
„Mach dir keine Sorgen, Mama.“
„Aber wir können dich abholen …“
„Nein!“
„Es ist ja nur eine Straße weiter oben, Stella“, sagte Papa.
„Jajaja“, sagte Mama.
Aber sie sah immer noch besorgt aus.
„Svea kann doch anrufen, wenn sie sich auf den Heimweg macht“, schlug Jo vor.
Mamas Sorgenfalten glätteten sich. An das Handy hatte sie nicht gedacht. Sie gehört nicht zu den Müttern, die alle naselang anrufen und checken, was man macht. Sie ruft nur an, wenn sie ein Anliegen hat, wie zum Beispiel „Bring einen Liter Milch mit“.
„Gut“, sagte sie. „Na, dann viel Spaß!“
Jetzt klang ihre Stimme viel fröhlicher.
Als wir aus dem Haus traten, stand ein dunkelgrüner Geländewagen auf unserer Garageneinfahrt.
„Hat dein Vater ein neues Auto gekauft?“, fragte Jo.
„Nein … wart mal kurz!“
Ich musste unbedingt noch einmal zurück.
„Papa, wem gehört das Auto dort draußen?“, rief ich.
„Lelle. Das ist der Wagen, über den ich neulich sprach. Wir habenheute Morgen Autos getauscht. Wenn du willst, können wir morgen eine Probefahrt machen.“
„Ja!“
Aber so eifrig
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