Todeswald
ich nur da und plapperte, was mir gerade einfiel. Das war bestimmt alles andere als aufregend. Dass sie das ausgehalten hatte!
Ich streckte die Hand nach einer weiteren Schnecke aus, obwohl ich proppensatt war.
Nur, um diesen schönen Moment etwas zu verlängern.
Mama und ich.
Ich und Mama.
Und Wuff. Diesmal war es meine Schneckenhälfte, die sie stibitzte, als ich sie auf dem Tischrand aus der Hand legte.
KAPITEL 32
Papa hatte auf meinem Handy eine Nachricht hinterlassen. Er würde um drei nach Hause kommen und wollte dann gleich zum Hallenbad fahren. Es war drei Wochen her, seit wir zusammen schwimmen gewesen waren. Seither war nichts mehr wie sonst.
Ich lag auf dem Bett und las, während ich wartete. Der Vorteil von Ferien ist, dass man da richtige Bücher lesen darf, keine Klassiker oder Geschichtsbücher.
Als ich aufs Klo ging, kam ich auf andere Gedanken.
Ich hatte meine Tage bekommen!
Auf diesen Moment hatte ich lange gewartet. Endlich konnte ich auch in die Klagelieder darüber einstimmen, wie lästig es sei, ein Mädchen zu sein, und mich über die Bauchschmerzen beschweren.
Aber ich hatte keine Schmerzen. Und lästig war es auch nicht. Ich brauchte bloß einen frischen Schlüpfer anzuziehen und eine Binde aus einer Packung herauszuholen, die ich schon lange gekauft hatte.
Am liebsten hätte ich alle Mädchen, die ich kannte, angerufen, ich begnügte mich aber damit, Jo eine SMS zu schicken.
„Kann nur sagen: Herzliches Beileid“ , schrieb sie zurück.
Sie konnte sich nicht an die Größe des Augenblicks erinnern, weil sie ja bereits seit zwei Jahren ihre Tage hatte.
Auf leichten Füßen flog ich zu Mamas Atelier hinauf. Die Tür war geschlossen. Ich schob sie einen Spalt weit auf. Musik strömte aus den Lautsprechern. Sie stand vor dem halb fertigen Porträt einer nackten Göttin an einer Spüle. Noch war die Göttin nicht blau-weiß gestreift, doch das war bestimmt nur eine Frage der Zeit.
Sie sah mich nicht.
Leise schloss ich die Tür wieder. Papa würde sowieso jeden Augenblick kommen. Er würde die große Neuigkeit als Erster erfahren!
Jetzt konnte ich allerdings nicht schwimmen gehen. Die Sache mit den Tampons war eine Schwierigkeitsstufe, die ich noch nicht erklommen hatte und die ich irgendwann später in Angriff nehmen würde. Da musste ich eine Expertin um Rat fragen. Jo zum Beispiel. Aber nichts hinderte mich daran, Papa zum Hallenbad zu begleiten und mich dort auf einem Trainingsfahrrad abzustrampeln.
Ich schielte ungeduldig auf die Uhr. Warum kam er nicht? Es war schon nach drei. Vor Feiertagen war natürlich immer viel Verkehr. Alle mussten einkaufen, aufs Land fahren, Verwandte besuchen, überhaupt wie verrückt herumrasen.
Ich hielt das Warten kaum aus. Ich spielte ein Computerspiel, ging nach unten ins Wohnzimmer und zappte von einem TV-Sender zum andern, ging wieder nach oben und spielte noch ein Computerspiel.
Immer wieder glaubte ich Papas Auto auf der asphaltierten Einfahrt vor der Garage zu hören. In meiner Fantasie sah ich schon alles vor mir. Er würde das Auto parken, aussteigen und die Tür zuschlagen. Dann, wenn nicht schon vorher, würde Wuff unter eifrigem Gebell die Treppe hinunterstürzen. Und wenn er dann endlich in der Eingangsdiele stand, würde ich die große Neuigkeit verraten. Aber nicht mit so einem piepsigen Kinderstimmchen, sondern mit weicher, melodischer Frauenstimme:
Deine Tochter ist zur Frau geworden.
Ich war froh und stolz.
Genauso stolz würde er auch werden, bestimmt auch gerührt.
Mir kam es vor wie Stunden später, als das Auto endlich kam. Alle meine Gedanken über ruhige Würde waren wie weggeblasen. Ich rannte mit Wuff um die Wette nach unten, stürzte zur Haustür hinaus und galoppierte zum Auto hin, den bellenden Hund um die Beine.
„Papa, Papa!“
Er sah Wuff irritiert an.
„Ruhig!“
„Papa …“
„Hör mit dem Gekläff auf!“
Mit angespanntem Gesicht drehte er sich zu mir um.
„Was ist?“, fragte er brüsk.
„Ich hab meine Tage gekriegt!“
Er zuckte zusammen und sah sich hastig um.
„Musst du das unbedingt hier auf der Straße herumposaunen?“
„Aber Papa …“
„Ja, ja, ja. Komm, wir gehen rein.“
Die Enttäuschung senkte sich mit schwerem Gewicht auf mich herab.
Er hängte seine Sachen an die Garderobe und verschwand auf die Toilette.
„Was ist das für ein Lärm?“, kam Mamas Stimme aus dem Atelier. „War das Papa?“
Mit einem erwartungsvollen Lächeln auf den Lippen kam sie in die
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