Todeswunsch - Robotham, M: Todeswunsch - Bleed For Me
hast, wie er ein weißes Mädchen geküsst hat. Du bist ein Schläger, Lance. Und du bist ein Rassist. Ich weiß, dass du wütend bist. Du bist angepisst, weil du deine Schwestern nicht vor deinem Vater beschützen konntest. Du bist wütend auf dich selbst, weil du dem Tyrann und Kinderschänder nicht die Stirn geboten hast. Aber was dir am meisten Angst macht, Lance, ist die leise Stimme in deinem Ohr, die dir unaufhörlich sagt, dass du genauso bist wie er.«
Blut steigt ihm ins Gesicht. Er ballt die Fäuste.
»Ich bin kein bisschen wie mein Vater.«
Einen Moment lang fürchte ich, dass er mich schlagen wird, aber dann gleitet das Wagenfenster herunter. Sienna hat weiße Kopfhörer im Ohr, aus denen ein metallisches Zischen dringt.
»Wir müssen reden«, sage ich.
Sie nickt mit dem Kopf zum Rhythmus der Musik. »Ich hab es satt zu reden. «
»Ich habe noch Fragen.«
»Das ist jetzt alles egal.« Ihre Stimme klingt flach.
Das Fenster gleitet wieder nach oben. Wenn ich jetzt nichts sage, ist die Gelegenheit verstrichen.
»Ich habe eine Nachricht von Charlie.«
Das Fenster bleibt halb offen stehen. Sienna nimmt die Kopfhörer aus den Ohren. »Geht es ihr gut?«
»Sie vermisst dich.«
»Ich vermisse sie auch.« Sie fährt sich mit der Zunge über die Unterlippe. »Sagen Sie ihr, es tut mir leid.«
»Das könntest du ihr selbst sagen.«
Sienna steckt sich die Kopfhörer wieder ins Ohr und ertränkt ihren Verstand in Musik. Das Fenster gleitet zu.
Helen Hegarty hat sich von allen verabschiedet. Mitleid und Mitgefühl haben sie ausgezehrt, und ich kann förmlich sehen, wie ihre Maske abfällt, als sie Zoes Rollstuhl zum Wagen schiebt. Sie will, dass dieser Tag zu Ende geht.
»Ich hatte gehofft, bei Ihnen vorbeikommen zu dürfen … um mit Sienna zu sprechen.«
»Sie ist nur ein paar Stunden zu Hause.«
»Ich weiß.«
Helen blickt seufzend zu der Limousine. »Mit mir redet sie nicht. Vielleicht spricht sie ja mit Ihnen.«
Ich helfe Zoe in den Wagen. Sie ist nicht schwer, legt ihre Arme um meinen Hals und klammert sich fest an mich, um es mir leichter zu machen. Sie setzt sich neben Sienna und nimmt ihre Hand. Sienna reagiert nicht.
Nachdem ich den Rollstuhl zusammengeklappt und im Kofferraum verstaut habe, sehe ich der Limousine nach und frage mich, wie viel Unglück einer Familie widerfahren kann. Eine gelähmte Tochter. Ein ermordeter Vater. Ein rassistischer Sohn. Ein des Mordes angeklagtes Kind. Das Klischee, dass Glück und Unglück sich am Ende die Waage halten, ist nicht wahr. Vielleicht beim Glücksspiel, aber nicht im wirklichen Leben.
Jemand hakt sich bei mir unter, eine so vertraute Geste, dass ich erwarte, Julianne zu sehen.
»Das mit gestern Abend tut mir leid«, sagt Annie Robinson. »Ich hätte nicht so bei dir aufkreuzen dürfen. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe.«
»Es ist nicht deine Schuld.«
»Du hast mich nicht angerufen.«
»Ich habe eine Menge Leute nicht angerufen.«
»Du bist wütend.«
»Ich hab ein paar schwierige Tage hinter mir.«
Sie reibt ihre Wange an meiner. »Komm mich besuchen. Ich zeige dir das Foto von Gordon und Novak Brennan.«
36
Helen Hegarty entriegelt die Haustür und führt mich durch die Küche, die nach Zucker und Limonenschale riecht. Sie kocht Marmelade ein. Auf dem Herd stehen blubbernde Töpfe, auf dem Tresen sterilisierte Gläser auf einem Geschirrhandtuch.
Der Dampf hat ihre Haarsträhnen glatt an ihre Stirn geklebt. Sie wischt ihre Hände ab.
»Ich versuch mich nur irgendwie abzulenken.«
»Das ist nur allzu verständlich … unter den Umständen.«
Sie blickt zur Decke. »Sienna ist oben. Sie packt ein paar Sachen.«
»Sie sind allein?«
»Zoe und Lance sind in die Stadt gefahren.«
Ich steige die Treppe hinauf und klopfe leise an Siennas Zimmertür.
»Nicht reinkommen«, sagt sie erschrocken.
»Ich bin’s.«
»Können Sie später wiederkommen?«
»Nein. Ich warte.«
Ich halte mein Ohr an die Tür und höre, wie Schubladen geschlossen werden und das Fenster geöffnet wird.
»Ich will heute wirklich nicht reden.«
»Warum nicht?«
»Ich fühle mich nicht wohl.«
»Tut mir leid. Lass uns darüber reden.«
»Ich ziehe mich gerade um. Dauert nur eine Minute.«
Irgendwann geht die Tür auf. Sienna wendet sich sofort wieder ab, krabbelt ins Bett, lehnt sich an die Wand, zieht ihre
Knie an und spannt ihren schwarzen Rock eng darüber. Das Zimmer ist sauber aufgeräumt. Der blutgetränkte Teppich ist
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