Todeswunsch - Robotham, M: Todeswunsch - Bleed For Me
wurde.
Das wird Cray nicht zulassen. Dieses Mal nicht. Nicht wenn es um ihren Freund geht.
Die Menge vor dem Haus ist ausgedünnt. Auf der gegenüberliegenden Seite lungern noch ein paar Teenager herum und kicken ziellos das welke Laub. Ein junger Mann trinkt aus einer grellfarbigen Dose. Sein dunkles Haar hat blonde Strähnen, die zu einem fransigen Pony geschnitten sind, der sein Gesicht nicht rahmt, sondern ein Versteck bietet.
Meine Augen urteilen rasch. Er kommt mir bekannt vor, vielleicht ein Zeichen dafür, dass ich schon zu viel von der Welt gesehen habe und sich nun alles zu wiederholen beginnt.
Dann fällt mir ein, wo ich ihn schon einmal gesehen habe. Sienna Hegarty hat ihn auf den Mund geküsst und ist in seinen Wagen gestiegen. Der Junge starrt mich an. Er schnippt sich eine Strähne aus den Augen, wendet sich ab und geht eilig davon.
Ich rufe ihm hinterher, und er fängt an zu rennen. Er drängt sich zwischen Schaulustigen und geparkten Wagen hindurch.
Cray ist noch drinnen bei Preston. Ich rufe den uniformierten Beamten zu, doch keiner reagiert schnell genug, um den Jungen aufzuhalten. Er hat vierzig Meter Vorsprung. Er ist dünn wie ein Windhund, unterernährt, eine Statur wie zum Laufen geschaffen. Als er unter dem Bogen des alten Eisenbahnviadukts ist, verliere ich ihn aus den Augen. Er ist wie vom Erdboden verschluckt.
Ein Landwirtschaftsweg zur Linken fällt mir auf. Es ist die einzige Möglichkeit. Ich folge der doppelten Furche, renne weiter und spüre ein Gewicht auf meinem Herz und meiner Lunge. All die Spaziergänge haben mich nicht fitter gemacht.
Irgendwo vor mir wird ein Motor angelassen, ein kaputter Auspuff knattert. Der Peugeot schießt aus einer schlammigen Hofeinfahrt und kommt mit in Pfützen schlingernden Hinterrädern in voller Fahrt auf mich zu. Ich stehe auf der Grasnarbe zwischen den beiden Furchen, links und rechts von mir Hecken.
Ich hebe die Hand. Er bremst nicht. Im letzten Augenblick
werfe ich mich zur Seite und schwinge meine Beine aus dem Weg der durchdrehenden Räder.
Auf dem Rücken liegend atme ich tief ein, blicke auf die Wolken, die über mir hinwegziehen, und lausche meinem pochenden Herzen.
»Alles in Ordnung?«, fragt eine Stimme in dem langsamen Singsang des West Country. Es ist Alasdair Riordan, der Bauer, den ich vorhin schon einmal getroffen habe.
»Alles bestens.«
»Was machen Sie da?«
»Ich ruhe mich aus.«
Er nickt befriedigt und wendet sich wieder seinem Traktor zu.
»Haben Sie den Wagen gesehen?«, frage ich.
Alasdair zieht seine Wollmütze ab und kratzt eine juckende Stelle am Kopf. »Ja, hab ich.«
»Er hat mich beinahe überfahren.«
»Ja.«
»Sie haben sich nicht zufällig die Nummer gemerkt?«
Er setzt seine Wollmütze wieder auf und schüttelt den Kopf. »Ich bin nicht so gut mit Zahlen.«
Kurz darauf tauchen zwei uniformierte Beamte auf, gefolgt von der heftig schwitzenden Ronnie Cray.
»Alles in Ordnung?«
»Ja, danke.«
»Wer war das in dem Wagen?«
»Siennas Freund.«
Sie registriert die Information wie ein fanatischer Goldsucher. »Sie hätten das uns überlassen sollen.«
»Er ist weggelaufen. Ich habe ihn verfolgt.«
»Was sind Sie – ein Hund?« Sie betrachtet ihre verschlammten Schuhe. »Ich hoffe, der Kerl kann Schuhe putzen.«
Mein Handy vibriert.
»Was ist mit Sienna passiert?«, platzt Charlie los, den Tränen nahe.
»Sie ist im Krankenhaus.«
»Geht es ihr gut?«
»Sie steht unter Schock, aber ich glaube, das wird wieder.«
Im Hintergrund höre ich Spielplatzlärm.
»Die Leute sagen, Ray Hegarty wäre tot. Sie sagen, Sienna hätte ihn umgebracht.«
»Wir wissen nicht, was passiert ist.«
»Aber er ist tot?«
»Ja.«
»Kann ich Sienna besuchen?«
»Noch nicht.«
»Kann ich sie anrufen?«
»Nein.«
Sie schnieft und schnäuzt sich die Nase. Charlie weint fast nie. Sie frisst alles in sich hinein. Seit der Entführung habe ich sie genau beobachtet und Probleme befürchtet. Isst und schläft sie anständig? Hat sie einen normalen Freundeskreis? Manchmal wage ich zu hoffen, dass das Schlimmste überstanden ist, aber dann kommen die Albträume zurück, und sie schreit, streckt die Hände aus und klammert sich an unsichtbare Gegenstände in der Dunkelheit. Ich stolpere in ihr Zimmer, knie neben ihrem Bett, streiche ihr über die Stirn und rede leise auf sie ein. Dann öffnet sie die Augen und starrt ins Leere, als hätte man ihr gerade eine furchtbare Enthüllung über ihr Leben ins Ohr
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