Todeswunsch - Robotham, M: Todeswunsch - Bleed For Me
alten Schwarzweißfilm. Der Dunst über dem Meer hat die gischtgekrönten Wellen eingehüllt und den Übergang von See und Land verwischt. Nur die dunklen Kiefern zeichnen sich deutlich ab, rau und durchnässt wie eine stumme Armee, die sich auf den Hängen für eine Invasion sammelt.
Ich verirre mich, als ich das Zimmer vom letzten Mal suche. Sienna sitzt auf ihrem Lieblingsplatz auf der Fensterbank.
Ein übergewichtiger Teenager mit Apfelbäckchen bewegt sich zwischen den Möbeln hin und her, pickt Flusen von den Sofas und richtet die Kissen aus. Er trägt einen Lederhelm, der mit Riemen unter dem Kinn befestigt ist. Ein anderer Junge spielt Schach mit sich selbst und bewegt seinen Stuhl von einer Seite des Tisches zur anderen, bevor er einen Zug macht.
Der putzende Junge erreicht das Schachbrett, nimmt sich unvermittelt die weiße Königin und poliert sie mit seinem Lappen.
»Verdammt noch mal, Trevor, lass meine Königin in Ruhe.«
Trevor stellt die Figur einfältig wieder aufs Brett und nimmt sich eine andere. Der Spieler versucht, sie zurückzubekommen, und jagt Trevor um den Tisch.
»Mach das noch mal, und ich verpass dir eine.«
Sienna hat weiter aus dem Fenster gestarrt. Ihre Schulterblätter sehen unter ihrer Kleidung aus wie gestutzte Flügel. Als sie meine Stimme hört, dreht sie sich um und lächelt müde. Dann beobachtet sie die Jagd, bis Trevor in die Ecke gedrängt ist und die Schachfigur herausgeben muss.
»Trevor ist der Klinikclown«, erklärt sie. »Die anderen sind verrückt, aber er ist bloß ein Quatschkopf.«
»Warum spricht er nicht?«
»Er hat keine Zunge. Er hat sie abgebissen.« Sie beugt sich näher und flüstert: »Angeblich ist seine ganze Familie bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Trevor hat als Einziger überlebt. Man hat ihn auf seinem Sitz angeschnallt zwischen lauter Toten gefunden. Das muss man sich mal vorstellen. Man sieht ja, was es mit ihm gemacht hat.« Sie zeigt mit einem kreisenden Finger auf ihren Kopf.
»Und warum trägt er einen Helm?«
»Damit sein Gehirn nicht herausfällt.«
Bei ihr klingt das so of fensichtlich.
Trevor wischt weiter Staub und richtet Kissen aus. Sienna schwingt die Beine von der Fensterbank und setzt sich auf ein Sofa.
»Haben Sie Lust, Poker zu spielen? Niemand will mit mir spielen.«
»Wieso nicht?«
»Weil ich immer gewinne.«
»Du scheinst dir ja ziemlich sicher zu sein.«
»Es stimmt. Wenn die Leute versuchen mich zu bluffen, durchschaue ich das meistens.«
Sienna spreizt die Knie und drückt auf ihr Kleid, sodass es eine Hängematte bildet. Mein linker Arm schwingt unwillkürlich nach vorn und trifft sie beinahe. Sienna zuckt zusammen.
»Was war das?«
»Nur ein Tremor. Kein Grund zur Sorge.«
»Sie könnten ein echt guter Pokerspieler werden — bei all dem Zucken und Zappeln. Die Leute wüssten nie, ob Sie vier Asse oder nur Luschen auf der Hand haben.«
Ich lache laut, und ihre Miene hellt sich auf. Dann zuckt sie die Achseln und legt den Kopf zur Seite. »Ich mag Sie.«
»Warum?«
»Sie sind irgendwie so down.«
Die Feststellung rührt etwas in meiner Brust.
»Täusch dich mal nicht.«
Wieder zuckt sie nur die Achseln. »Haben Sie eine Zigarette ?«
»Du bist noch zu jung zum Rauchen.«
»Die ist nicht für mich. Ich kann sie gegen andere Sachen tauschen.«
»Zum Beispiel?«
»Eine Dose Cola, Schokoriegel und so.«
Auf der anderen Seite ist Trevor vor dem Fernseher stehen geblieben und singt den Song einer Cornflakes-Werbung mit.
»Sagtest du nicht, dass er sich die Zunge abgebissen hat?«
Sienna sieht mich verlegen an. »Es ist ein Wunder.«
Sie wechselt rasch das Thema. »Lassen Sie sich scheiden?«
»Ich bin hier, um über dich zu reden.«
»Charlie will, dass Sie wieder zusammenkommen.«
»Ich weiß.«
»Warum haben Sie sich getrennt?«
»Das ist kompliziert.«
»Wegen dem Zittern und allem?«
»Nein.«
»Warum dann?«
»Julianne mochte den Mann nicht, der ich geworden bin.«
Im Fernsehen sieht man jetzt einen Reporter vor dem Bristol Crown Court. Es folgt ein Schnitt zu einem Polizeihubschrauber, der tief über dem Gerichtsgebäude kreist, dann Polizisten auf Pferden, die Demonstranten zurückdrängen.
Sienna blickt auf den Bildschirm. »Komme ich da auch hin?«
»Ja.«
»Ich hab nichts getan.«
»Es würde helfen, wenn du die Wahrheit sagst.«
»Die Welt ist voller Lügner.«
»Das ist keine Entschuldigung.«
Ihre Haut ist so durchscheinend, dass ich die Adern an
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