Todeszauber
Feuer.
Nero hörte nicht, daß sich jemand näherte. Er konzentrierte sich ganz darauf, über viele Meilen hinweg einen Menschen zu töten. Plötzlich traf ihn ein Reitstiefel in das verlängerte Rückgrat, er kippte um und blieb neben dem Feuer liegen. Haar und Bart waren von rotem Sand verkrustet, er schien aus einem tiefen Traum zu erwachen. Da wurde er auch schon gepackt und geschüttelt, bis die Augen aus den Höhlen zu treten schienen, und im nächsten Augenblick wieder zu Boden gestoßen. Als er endlich aus seiner Benommenheit aufwachte, sah er John Gordon, der neben dem Feuer hockte und sich eine Zigarette drehte.
»Warum hast du mich geschlagen?« jammerte Nero.
»Lauf zum Haus und hole Wandin. Aber renne, du Teufel!«
Nero war schon längst im gesetzten Alter, doch er mühte sich, eine schnellere Gangart als sonst einzuschlagen. Gordon hockte, ohne sich zu regen, vor dem kleinen Feuer und rauchte. Die Minuten verstrichen, die Wut verflüchtigte sich, und schließlich fühlte er sich ein wenig beschämt. Als er hörte, wie sich nackte Füße im Sand näherten, blickte er nicht auf.
»Setzt euch zu mir!« befahl er.
Wandin und Nero hockten sich zu beiden Seiten von ihm nieder. »Wer hat euch gesagt, auf den Polizeimann das Deutebein zu richten?«
»Jimmy Partner«, erwiderte Nero. »Hör zu, Johnny Boss: dieser Polizeimann finden Baum und finden grünen Faden. Bald er finden Anderson. Dann bös für unseren Johnny Boss.«
Der letzte Satz sprach Bände. John Gordon starrte in das Feuer, fand nicht die Kraft, den beiden Eingeborenen in die Augen zu sehen.
»Warum habt ihr mir nichts davon gesagt?«
»Du uns gesagt, niemals mehr Deutebein nehmen, Johnny Boss. Vor langer Zeit du uns gesagt.«
Da hatten diese beiden sich also seit vielen Tagen und Nächten mit anderen abgelöst, hatten reglos vor einem kleinen Feuer gehockt, um einem Menschen den Tod zu suggerieren – nicht, weil sie diesen Menschen fürchteten, sondern weil sie glaubten, ihrem Johnny Boss drohe von dort Gefahr. Aus Loyalität hatten sie es getan. Gehörte er nicht zu ihnen? Hatte er nicht die Reiferiten der Kalchut erhalten? Nun drohte ihm von einem Feind Gefahr, und dieser Feind mußte vernichtet werden. Gordon stand auf, und auch die beiden Eingeborenen erhoben sich. Furchtsam musterten sie ihn, und sie waren überglücklich, als sie bemerkten, daß er nicht mehr wütend war.
»Ihr werdet also das Deutebein auf niemanden mehr richten?«
Wandin massierte sein Kinn, Nero hingegen die Sitzfläche. »Keine Angst, Johnny Boss. Wir sagen Jimmy Partner Schluß!«
Gordon packte Nero und Wandin an den Armen, zog sie dicht zu sich heran.
»Tut mir leid, daß ich euch so geschlagen habe. Ihr seid brave Blackfellers. Ihr seid meine Väter und meine Brüder, aber ich bin euer Johnny Boss. Verstanden?«
»Ja, Johnny Boss.«
»Morgen werdet ihr alle, auch die Lubras und die Linder, auf Wanderschaft in die Meenaberge gehen. Ihr bleibt dort, bis ich euch zurückrufe. Jimmy Partner und Malluc bleiben bei mir. Sagt Malluc, er soll sofort zu mir kommen. Und morgen früh sagt ihr den Lubras, sie sollen sich drüben Lebensmittel holen.«
Die beiden Schwarzen grinsten fröhlich.
»Und jetzt hockt ihr euch ans Feuer, die ganze Nacht hindurch, und zieht Deutebein und Adlerklauen aus dem Polizeimann!«
»Ja, Johnny Boss. Wir tun so.«
Gordon preßte die Arme der beiden noch einmal und dann ging er über das verlassene Lager nach Hause zurück. Bei der Pferdekoppel sattelten Jimmy Partner und Abie gerade ihre Pferde ab. Als Jimmy Partner trotz seiner gewaltigen Kräfte John Gordon erblickte, ließ er das Pferd stehen und wollte verschwinden,
»Komm her, Jimmy Partner!« befahl Gordon.
Der Eingeborene zögerte erst, dann kam er langsam näher. Gordon streckte ihm die Hand entgegen.
»Tut mir leid, daß ich dich so geschlagen habe, Jimmy, aber es war falsch, durch Nero und Wandin das Deutebein auf Inspektor Bonaparte richten zu lassen. Es kann sehr schlimme Folgen haben – aber nicht für den Inspektor, sondern für den Stamm der Kalchut.«
Jimmy Partner grinste und schlug in die dargebotene Hand ein.
»In Ordnung, Johnny Boss. Ich habe nicht geglaubt daß ich dir schaden könnte.«
»Nicht für mich, aber für die Kalchut kann euer unüberlegtes Vorgehen schlimme Folgen haben. Erteile also nie mehr ohne meine Einwilligung irgendwelche Befehle. So – und bevor du zum Essen kommst, solltest du dir dein Gesicht im Spiegel ansehen.«
»Ach, das
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