Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
keine Bücher, keine CD s, nichtssagende Kunstdrucke an den Wänden. Nichts, was darauf hindeutete, dass sie in ihrer Wohnung als Prostituierte gearbeitet und Freier empfangen hatte.
All das stimmte mit den Aussagen der Nachbarn in dem Mietshaus überein. Keiner kannte Katharina Seydel näher, alle beschrieben sie als freundliche, zurückgezogen lebende Frau, mit der es nie irgendwelche Probleme gegeben hatte. Einige erinnerten sich kaum noch an sie. Vollkommen unscheinbar.
Das Geld, das sie im Bordell als Prostituierte und Bardame verdient hatte, war zwar bar ausgezahlt, die Sozialversicherungsbeiträge und Steuern waren jedoch ebenfalls abgeführt worden. Die Unterlagen des Freudenhauses waren makellos. Auch hier hatte man nur Gutes und nichts Ungewöhnliches über das Opfer zu berichten, allenfalls hatte man sich darüber gewundert, dass Katharina ihr Privat- und Arbeitsleben derart strikt voneinander getrennt hatte, dass außer oberflächlichem Smalltalk nie ein Gespräch mit ihren Kolleginnen zustande gekommen war.
Ihren Verdienst hatte Katharina Seydel regelmäßig auf ihr Konto eingezahlt. Sie arbeitete immer gerade so viel, wie sie für ihre fixen Ausgaben und zum Leben brauchte, was beides nicht besonders viel war. Ein Notgroschen in Höhe von tausendfünfhundert Euro lag unangetastet auf einem Tagesgeldkonto.
Bis auf die Tatsache, dass sie gerne per EC -Karte bezahlt hatte – was es Jennifer glücklicherweise leicht gemacht hatte, ihre Ausgaben nachzuvollziehen – , erweckte Katharina Seydel den Eindruck eines Menschen, der versucht hatte, nicht aufzufallen und möglichst keine bleibenden Spuren zu hinterlassen.
Ein Punkt, der unwillkürlich die Frage aufwarf, ob es dafür einen konkreten Grund gegeben hatte oder ob sie einfach nur ein sehr zurückhaltender Mensch gewesen war.
Zumindest hatte sie keine Medikamente genommen, die irgendeine behandlungsbedürftige Krankheit nahelegten. Charlotte hatte die Packungen, die sie in der Wohnung gefunden hatte, mit in den Karton gepackt. Es waren jedoch nur Aspirin, ein Abführmittel und Nasentropfen gewesen, nichts, was man nicht in jeder Hausapotheke fand.
Trotzdem war Jennifer gespannt, ob die geplanten Anfragen bei der Lemanshainer Ärzteschaft irgendetwas ergeben würden. Noch fehlten ihr dafür aber die notwendigen Beschlüsse des Ermittlungsrichters, um deren Beantragung sich Grohmann heute kümmern wollte.
Jennifer stieß ein leises Seufzen aus. »Das dachte ich mir. Aber immerhin ist damit eine weitere Möglichkeit eliminiert, wie der Mörder mit Ihrer Mutter in Kontakt gekommen ist.«
»Haben Ihre Ermittlungen sonst schon irgendetwas ergeben?«, fragte Charlotte zögernd.
»Leider nicht besonders viel«, gestand Jennifer, nachdem sie entschieden hatte, die Frage aufrichtig und nicht nur mit einer Phrase zu beantworten. »Dank Ihrer Weitsicht, die Post zu bündeln, die sich noch im Briefkasten befand, konnten wir den Todeszeitpunkt etwas genauer eingrenzen. Das hilft uns im Moment zwar nicht weiter, aber ohne die Gefriertüte und die Beschriftung wäre diese Information verloren gegangen.«
Falls Charlotte über die anerkennenden Worte verblüfft war, ließ sie es sich nicht anmerken. Dabei meinte Jennifer ihr Lob ehrlich.
Normalerweise hätte der Beamte, der damals mit Charlotte zusammen die Wohnung besichtigt hatte, als es um das Verschwinden des Opfers gegangen war, diese Details bereits feststellen müssen. Es war eine verdammte Schlamperei, dass er sich nichts davon notiert hatte. Doch Jennifer behielt diesen Gedanken für sich.
Sie verschwieg auch, dass sie durch die Auskunft der Bordellchefin, wann Katharina Seydel das erste Mal nicht wie verabredet zur Arbeit erschienen war, inzwischen eine sehr genaue Vorstellung vom Zeitpunkt ihres Verschwindens hatte. Sie wollte die junge Frau nicht unnötig mit dem Beruf ihrer Mutter konfrontieren.
»Es gibt aber noch genug zu tun«, fuhr Jennifer fort, als Charlotte immer noch nichts sagte. Sie zögerte kurz, bevor sie fragte: »Soll ich Sie anrufen, wenn wir etwas Neues haben?« Sie wusste, dass die Beziehung zwischen Mutter und Tochter schlecht gewesen war, glaubte aber auch, dass der Tod ihrer Mutter der jungen Frau näher ging, als sie sich selbst einzugestehen bereit war.
Zwei Atemzüge. Verkehr im Hintergrund. Noch ein Atemzug.
»Ja, warum eigentlich nicht?« Dann unterbrach Charlotte die Verbindung.
9
Montagmorgen, der mit Abstand unangenehmste Zeitpunkt der Woche. Die Nachwirkungen
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