Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
außergewöhnliche Grün seiner Augen.
Er gehörte außerdem zu den älteren Studenten, war keiner der kaum dem Gymnasium entkommenen Milchgesichter. Vermutlich machte er gerade seinen Master oder sein Diplom. Vielleicht war er auch Doktorand. Sponsored by Daddy.
Charlotte wusste selbst nicht, welcher Laune oder welchen Hormonen ihr plötzlicher Meinungsumschwung geschuldet war, doch sie grummelte schließlich: »Meinetwegen.«
Er setzte sich.
Ihre abwegige Hoffnung, dass er sich einfach nur setzen und ebenfalls lernen würde, erfüllte sich natürlich nicht. Immerhin ließ er sich zwei Minuten Zeit, bevor er sagte: »Du siehst müde aus. Wildes Wochenende gehabt?«
Sie schenkte ihm lediglich einen Seitenblick.
»Du redest wohl nicht viel.«
Ihr Blick streifte die Bücher und das Notebook auf dem Tisch. Mit einem Tonfall, der andeutete, dass eine Erklärung eigentlich unnötig sein sollte, antwortete sie: »Ich lerne.«
»Das sehe ich. Aber du lernst schon den ganzen Tag ohne Unterbrechung. Solltest du dir da nicht mal eine Pause gönnen?«
»Hast du mich etwa den ganzen Tag beobachtet?«, konterte Charlotte misstrauisch.
»War geraten.« Seine Stimme war tief, irgendwo zwischen Bass und Bariton.
Genau ihr Fall. Verdammt.
»Aha.«
Endlich schien er ihre Ablehnung als eben solche zu interpretieren, denn er hielt die nächsten Minuten den Mund. Er machte jedoch keine Anstalten zu gehen oder sich mit irgendetwas Sinnvollem zu beschäftigen. Sein Blick wanderte über die Regale, kehrte aber immer wieder zu ihr zurück.
Charlotte fühlte sich beobachtet. Und ertappte sich dabei, dass ihr das gar nicht mal so unrecht war. Ihre Konzentration schweifte zunehmend von der molekularen Ebene der Photosynthese zu dem mehr oder minder ungebetenen Gast an ihrem Tisch.
Eine Bibliothekarin kam mit einem Wagen voller Bücher den Gang entlang. Alle paar Meter blieb sie stehen und sortierte Bücher ein. Der Kerl beobachtete sie dabei und warf der Frau, die gut zehn Jahre älter als er war, ein Lächeln zu, das sie mit einem Kopfschütteln erwiderte.
Als sie eine Regalreihe weiter und außer Hörweite war, fragte er leise: »Wusstest du, dass alle Bibliothekare, also die Frauen, lesbisch sind?«
Charlotte sah mit einer spöttisch hochgezogenen Augenbraue von ihrem Buch auf. »Ja, klar.«
»Die auf jeden Fall.«
Ein Teil von ihr wollte antworten, ein anderer Teil wollte ihn einfach nur weiterhin ignorieren. Oder es zumindest versuchen. »Und woran glaubst du, das erkannt zu haben?«
»Ich weiß es.« Er bemerkte ihren zweifelnden Blick. »Ehrlich. Ich hab sie schon mal zusammen mit einer Frau gesehen.«
Charlotte sah in die Richtung, in der die Bibliothekarin verschwunden war. »Hm. Wenn das so ist, sollte ich sie vielleicht doch mal anmachen.«
Sein Lächeln deutete an, dass er ihr kein Wort glaubte. »Du bist doch nicht lesbisch.«
»Ach, nein?«
»Und selbst wenn, glaube ich kaum, dass deine Wahl auf unsere Frau Jasinski fallen würde.«
Da mochte er durchaus recht haben. Zumindest äußerlich machte die Bibliothekarin nicht besonders viel her, und ihre Kleidung entsprach dem Musterbeispiel der verschlossenen, konservativen Bücherfrau.
Charlotte sah sich selbst aber auch nicht gerade als Schönheit oder kleidete sich besonders ansprechend. Meistens trug sie praktische Cargohosen oder Jeans, die sie mit engen Oberteilen kombinierte. Farblich bewegte sie sich in den Bereichen schwarz, grau, weiß und sandfarben. Als einzige Farbtupfer kamen allenfalls Dunkelblau oder Military-Grün in Betracht. Die dunkel geschminkten Augen taten ein Übriges. Wenn sie es recht bedachte, würde sie äußerlich ohne Weiteres als Lesbe durchgehen.
»Stille Wasser sind tief«, erklärte sie und erwiderte zum ersten Mal sein Lächeln.
»Trotzdem versuchst du auf die Art nur, mich loszuwerden.«
Charlotte zuckte die Schultern. »Vielleicht.« Sie spielte mit dem Gedanken, das Buch zuzuklappen, ließ es aber bleiben. Eine Art Rückversicherung. »Und du bist nicht so schüchtern, wie du dich anfangs darzustellen versucht hast.«
Er grinste jetzt. »Ist eine meiner Maschen. Die klappen nur meistens nicht.«
»Das wundert mich nicht. Du bist gerade dabei, dir ein weiteres Mal eine blutige Nase zu holen.« Das glaubte Charlotte in diesem Moment allerdings schon selbst nicht mehr. Irgendetwas hatte der Kerl an sich, das auf sie einen gewissen Reiz ausübte.
»Wirklich? Wieso?«, fragte er überrascht. »Erteilst du immer so schnell
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