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Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)

Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)

Titel: Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Saskia Berwein
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Charlotte vierzehn wurde und ihre Mutter nicht länger mit Ausflüchten davonkommen lassen wollte, sondern direkt auf ihre Teilnahmslosigkeit ansprach, kam es unweigerlich zur Konfrontation. Am Ende war Katharina Seydel weinend zusammengebrochen und hatte Charlotte auf Knien angefleht, sie niemals mehr danach zu fragen.
    Zwar wütend, aber auch resigniert, sprach Charlotte das Thema tatsächlich nie wieder an. Sie hatte sich damit abgefunden, dass sie mit ihrer Mutter wie mit einer Fremden zusammenlebte. Katharina duldete sie irgendwie in ihrem Leben, und Charlotte tat es ihr gleich, bis sie alt genug war, um auszuziehen und eigene Wege zu gehen.
    Charlotte hatte ihre eigenen Methoden entwickeln müssen, um mit ihrer inneren Zerrissenheit, den Gefühlen der Leere und der Einsamkeit zurechtzukommen. Nicht alle waren gesund oder legal gewesen. Weder der übermäßige Konsum von Hasch oder die größeren Dosen Beruhigungsmittel noch die unzähligen Sexualpartner, die ihr zumindest für ein paar Stunden das Gefühl vermittelt hatten, geliebt zu werden und etwas wert zu sein.
    Inzwischen war sie sich im Klaren darüber, dass die Narben auf ihrer Seele und ihrem Körper niemals ganz verschwinden würden. Jeden Tag sah sie, trotz der Tätowierungen, die unzähligen Schnitte auf ihren Armen, konnte sie das Blut, das aus der Platzwunde an ihrer Augenbraue geflossen war, über ihr Gesicht rinnen spüren. Auch ohne hinzusehen, wusste sie genau, wo das Skalpell der Chirurgen ihren Bauch geöffnet hatte, um ihr den Blinddarm zu entnehmen, nachdem sie tagelang über imaginäre Schmerzen geklagt hatte, weil sie sich im Krankenhaus geborgener fühlte als zu Hause.
    Charlotte gab ihrer Mutter noch immer die Mitschuld an ihrem verkorksten Leben. Sie hasste sie, weil sie zugelassen hatte, dass Dämonen von ihrer Tochter Besitz ergriffen, die sie niemals mehr gänzlich würde abschütteln können. Ihre Mutter hatte nicht nur tatenlos zugesehen, sie hatte die Dämonen förmlich eingeladen.
    Trotzdem hatte Charlotte es nie geschafft, ihre Mutter vollständig aus ihrem Leben zu verbannen. Schließlich war sie trotz allem die einzige Konstante in ihrem Leben, der einzige Mensch, an den sie irgendeine Art von Bindung hatte.
    An diesem Mittwoch entdeckte Charlotte auf schmerzhafte Art, dass sich diese Bindung wider Erwarten nicht auf Genetik und Reproduktion reduzieren ließ.
    Sie hasste und sie liebte ihre Mutter. Sie hasste sie, weil sie tot war. Weil sie aus dem Leben geschieden war und sie, ihre Tochter, ohne Erklärungen und ohne Antworten zurückgelassen hatte. Sie liebte sie, weil sie ihre Mutter war. Sie liebte sie, weil sie irgendwo tief in ihrem Innern hoffte, dass ihre Mutter sie trotz allem auch geliebt hatte.
    Dass Katharina Seydel nicht mehr am Leben war, sondern inzwischen nur noch verbrannte Asche in einer Urne, brachte Charlotte an diesem Tag beinahe um den Verstand. Die plötzlichen Gefühle waren ihr derart fremd, dass sie sie völlig überwältigten.
    Und es gab niemanden, dem sie sich hätte anvertrauen oder der ihr hätte helfen können. Nicht einmal ihre Therapeutin. Nachdem Charlotte sie zu Beginn ihrer Therapie fast täglich angerufen hatte, hatte Alina Noack ihr zu verstehen gegeben, dass sie zwar für sie da sei, Charlotte sich aber nicht von ihr abhängig machen dürfe. Was auch immer das hieß. Charlotte wusste nicht, wann es in Ordnung war, ihre Therapeutin außerhalb der regulären Sitzungen zu kontaktieren. Zurzeit war sie außerdem im Urlaub. Also ließ Charlotte es bleiben. Und fühlte sich im Stich gelassen.
    Still und beinahe bewegungslos blieb sie auf ihrem Bett liegen und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen und die unzähligen Fragen aus ihrem Kopf auszusperren, die sich immer wieder in den Vordergrund drängten und auf die sie wohl niemals eine Antwort bekommen würde.
    Sie fand an diesem Nachmittag Schuldige für ihren Absturz.
    Zum Beispiel den Bestatter Emmerich. Sie hatte ihm gesagt, sie wolle keine Todesanzeige, doch er hatte nicht locker gelassen, bis sie irgendwann zugestimmt hatte, nur um ihn endlich loszuwerden.
    Er hatte ihr die Anzeige zugeschickt – nein, er hatte sich sogar die Mühe gemacht, sie in ihren Briefkasten zu werfen – , obwohl sie ihm gesagt hatte, dass das nicht nötig sei. Hätte sie seine Frage, ob sie den Stadtanzeiger las oder die kostenlosen Zeitungen bekam, in denen die Anzeige ebenfalls erschien, doch bloß bejaht.
    Emmerich schien darauf erpicht zu sein, ihr zu

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