Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
fragenden Blick zu.
»Sind Sie einmal grundsätzlich dem Ansatz nachgegangen, alle Geschäfte zu durchleuchten, die sich auf Frauen als Kundinnen spezialisiert haben? Ganz unabhängig davon, ob unsere Opfer als Kundinnen zugeordnet werden konnten oder nicht?«
Jennifer runzelte die Stirn, was einer Verneinung gleichkam, dann hellte sich ihr Gesicht auf. »Gute Idee. Es könnte möglicherweise irgendein Produkt geben, das jede Frau braucht und das es in ganz Lemanshain nur in einem oder sehr wenigen Geschäften gibt.«
»Für den Fall, dass unser Täter sich irgendwo eingenistet hat, wo er mit Frauen in Kontakt kommt, wäre das ein bevorzugter Ort«, meinte Grohmann.
»Dagegen spricht aber seine Abneigung gegen das weibliche Geschlecht. Er würde sich keinen Job suchen, bei dem er ständig mit Frauen zu tun hat.«
»Zumindest nicht direkt«, stimmte Grohmann zu. »Aber einen Versuch ist es trotzdem wert.« Er schaute auf den Bildschirm und öffnete den Internetbrowser.
Jennifer stand auf, umrundete die Schreibtische und zog sich einen Stuhl heran. »Auf der Homepage der Stadt gibt es eine sehr gute Aufstellung über alle Geschäfte vor Ort.«
Die nächsten drei Stunden waren sie damit beschäftigt, Grohmanns Liste der ersten Kategorie weitere Läden hinzuzufügen, die nicht im Einkaufszentrum angesiedelt waren, und die Angebote, sofern es Internetauftritte gab, miteinander zu vergleichen. Insgesamt kamen sie auf elf Geschäfte.
Grohmann warf Jennifer einen Seitenblick zu. »Das ist heute noch zu schaffen. Wir klappern die Läden ab, klopfen höflich an ein paar Türen und geben Freya parallel schon mal auffällige Kandidaten zur Überprüfung durch.«
Jennifer nickte. »Gute, alte Polizeiarbeit. Packen wir es an.«
12
Als Charlotte am frühen Donnerstagabend von der Uni nach Hause kam, erwartete sie in ihrem Wohnwagen eine Überraschung. Auf dem schmalen Tisch in der Sitzecke, der gerade groß genug war, um einen einigermaßen akzeptablen Arbeitsplatz abzugeben, stand ein Geschenk.
Sie ließ ihren Rucksack zu Boden gleiten und nahm die in durchsichtige Folie gewickelte Flasche hoch. Es war Shampoo einer Firma, die ihr nichts sagte. Das Design der Flasche und die französische Bezeichnung legten den Schluss nahe, dass es ein Produkt der höheren Preiskategorie war.
Shampooing Réveil. Produit naturel et végétal.
Ein Shampoo auf natürlicher und pflanzlicher Basis. Réveil bedeutete Erwachen und war vermutlich eine Art Sortenbezeichnung.
Sie drehte die Flasche um und versuchte, die Inhaltsstoffe zu übersetzen. Doch wie bei derartigen Produkten üblich, hielt sich das Etikett über die duftgebenden Stoffe bedeckt.
Une touche de bergamote, de jasmin et de vanille. Ein Hauch von Bergamotte, Jasmin und Vanille.
An dem Band, das die Folie zusammenhielt, hing ein kleines Kärtchen. Die Handschrift war ihr unbekannt, machte aber den Eindruck, als hätte sich der Schreiber besondere Mühe mit der geschwungenen Schreibschrift gegeben.
Ein einfacher Satz, keine Unterschrift: »Dir wird der Duft gefallen.«
Es war eine Feststellung, keine Hoffnungsbekundung.
Charlotte musste lächeln, als sie an Joshua und seine außergewöhnlich grünen Augen dachte.
Er war tatsächlich anders als seine Kommilitonen. Anstatt zu ihrem Date Blumen mitzubringen, schickte er ihr vorab ein Shampoo. Das war riskant, denn sie hätte das Geschenk durchaus falsch verstehen oder nicht angemessen finden können. Vielleicht würde sie den Geruch hassen.
Allein, weil er dieses Wagnis eingegangen war, hatte er für sie die richtige Wahl getroffen.
Blieb nur die Frage, warum er die Karte nicht unterzeichnet hatte, aber das war eigentlich auch unwichtig.
Sie ließ sich auf die Sitzbank sinken, öffnete zuerst die Folie und dann die Flasche. Ein intensiver, aber natürlicher Duft nach Jasmin und Vanille stieg ihr in die Nase. Sie atmete zweimal bewusst und mit geschlossenen Augen ein. Die Aromen vermischten sich zu einer schweren, süßlichen Note.
Normalerweise mochte sie eher frische Düfte, doch die einzelnen Nuancen waren perfekt aufeinander abgestimmt. Ein wenig erinnerte sie der Geruch an das Lieblingsparfüm ihrer Mutter, doch dieses Shampoo roch wesentlich leichter und feiner. Wahrscheinlich waren die Duftkomponenten nicht so konzentriert wie in einem Parfüm.
Jedenfalls mochte sie es.
Charlotte warf einen Blick auf die Uhr. Sie hatte noch genügend Zeit für eine Dusche. Ihre Haare wären trocken, bevor sie aufbrechen
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