Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
des Prozesses hat sie eingesehen, dass sie übertrieben reagiert hatte, und die Anklage wurde entsprechend verändert.« Er wiederholte ziemlich genau das, was noch an Informationen über den Fall zu finden war. Es war bemerkenswert, dass sich seine Argumentation innerhalb der letzten eineinhalb Jahrzehnte nicht geändert hatte.
»Aber Sie hatten damals doch zugegeben, mit ihr geschlafen zu haben«, hakte Jennifer mit gerunzelter Stirn nach. »Worauf basierte da das Missverständnis?« Sie hatte gelernt, auch in stichwortartigen Aufzeichnungen zwischen den Zeilen zu lesen. Seine Akte sprach eine sehr eindeutige Sprache.
Reisig machte Anstalten, die Arme vor der Brust zu verschränken, seine Handschellen ließen ihm jedoch keine Möglichkeit dazu. »Ich war einfach ein wenig zu forsch.«
»Passiert Ihnen das heute auch noch?« Sie machte keinen Hehl daraus, dass diese Frage eine Falle war. Sie hatte das Gefühl, dass er etwas ausgefressen hatte. Sein gesamtes Verhalten schrie »schuldig«, und sie wollte ihn glauben machen, dass sie sehr genau wusste, was er getan hatte. »Werden Sie auch heute gegenüber Frauen manchmal ein wenig zu … forsch?«
Er erwiderte ihren Blick beinahe emotionslos, ohne auf die Frage zu antworten. Seine Augen verrieten allerdings, dass er innerlich keinesfalls ruhig und entspannt war.
Jennifer seufzte ungeduldig. »Herr Reisig, wir wissen doch beide, warum ich heute mit Ihnen reden wollte. Und warum Sie einen Fluchtversuch unternommen haben. Einen erbärmlichen Fluchtversuch zwar, aber trotzdem wollten Sie davonlaufen. Vor welcher meiner Fragen sind Sie geflohen?«
Reisig starrte sie an, sekundenlang. Er öffnete den Mund und schloss ihn dann wieder.
»Ich verstehe, dass Ihnen das unangenehm ist, aber wenn wir jetzt darüber sprechen, ersparen Sie sich eine Menge zusätzlichen Ärger.«
Sie konnte ihn noch immer nicht ermutigen, doch sie sah, wie es in seinem Kopf arbeitete. »Vielleicht wollen Sie es mir nicht erzählen. Würden Sie sich besser fühlen, wenn Sie mit meinem Kollegen allein sprechen könnten?« Sie nickte in Richtung Grohmann.
»Wieso sollte ich?«
»Weil Sie vielleicht ein Problem mit mir haben. Sie mögen Frauen nicht besonders. Leider können Sie aber auch nicht ohne sie. Deshalb sind Sie immer wieder in Situationen geraten, die Sie nicht beherrschen konnten.« Etwas flackerte in seinen Augen. »Und wenn das passiert, führt das unweigerlich zur Eskalation. Wie vor fünfzehn Jahren, nur dass man Sie damals erwischt und in Ihre Schranken verwiesen hat.«
Jennifer spürte, dass sie auf dem richtigen Weg war. Seine Hände zitterten unmerklich. »Eine Weile hat das geholfen, doch ich frage mich, was dazu geführt hat, dass Ihre dunkle Seite derart die Oberhand gewonnen hat. Was ist passiert? Welche Eskalation hat Sie so weit getrieben?«
Zuerst schien es, als wollte er sich weiterhin in Schweigen hüllen, dann öffnete er jedoch endlich den Mund. »Ich kann nichts dafür.«
»Ich bin geneigt, Ihnen zu glauben, Herr Reisig. Aber dazu müssen Sie mir erzählen, warum das alles passiert ist.«
Unvermittelt brach er zusammen. Seine Schultern sackten nach vorne, und Tränen rannen über sein Gesicht. Sein Körper erbebte unter den Schluchzern. Er gab eine jämmerliche Figur ab, doch weder Jennifer noch Grohmann empfanden auch nur eine Spur von Mitleid.
Jennifer war unsicher, ob sein Zusammenbruch echt oder gespielt war, trotzdem verspürte sie Zorn. Sie wollte über den Tisch greifen und ihn schütteln. »Was ist passiert, Herr Reisig? Sie sind zu weit gegangen, habe ich recht? Sie haben den einen Punkt überschritten, an dem es kein Zurück mehr gab?«
Er nickte heftig. »Ich wollte das doch nicht … «
Sicher.
»Ich wollte ihr nicht wehtun … Sie hätte verdammt noch mal nicht so ausrasten sollen.«
Grohmann warf Jennifer einen Blick zu.
»Sie hat Sie wütend gemacht?«
»Ja.«
»Sie haben die Kontrolle verloren?«
»Ja!«
»Sie haben ihr wehgetan.«
»Ich … ich habe sie gewürgt … Mein Gott, ich hatte plötzlich meine Hände um ihren Hals!«
»Sie haben zugedrückt«, stellte Jennifer sachlich fest.
Er nickte. »Als ich wieder zu mir kam, wieder ich selbst war, da war es schon geschehen … Ich wollte es rückgängig machen … aber … «
»Sie atmete nicht mehr.«
»Was?!« Er starrte Jennifer voller Entsetzen an. »Die Schlampe ist tot?«
Seine Reaktion überraschte sie, doch die Ermittler ließen sich nichts anmerken. Jennifer
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