Todeszeit
Womöglich war der Honda mit einem Sender ausgestattet, mit dem man ihn leicht verfolgen konnte, aber selbst das war nicht mehr von Interesse.
Wenn Anson recht hatte, dann hatte Jimmy Nall – der Mann mit der sanften Stimme, der so rührend besorgt war, dass Mitch hoffnungsvoll blieb – seine Komplizen umgebracht. Er war nun der Einzige, auf den es ankam. In den letzten Stunden des Komplotts würde er sich nicht um Mitch kümmern, sondern Vorbereitungen dafür treffen, seine Geisel gegen das Lösegeld einzutauschen.
Leider hieß das noch lange nicht, dass Mitch den Lieutenant um Hilfe bitten konnte. Dass John Knox dreifach tot – mit gebrochenem Hals, zerquetschter Luftröhre und einer Schusswunde – in dem alten Buick lag wie in einem Leichenwagen, hätte allerhand Erklärungen erfordert. Kein bei der Mordkommission tätiger Beamter würde sich so leicht davon überzeugen lassen, dass Knox durch einen Unfall ums Leben gekommen war.
Was mit Daniel und Kathy geschehen war, würde auch nicht leichter zu erklären sein als das Schicksal von John Knox.
Und schließlich: Wenn man Anson in derart elendem Zustand in der Waschküche fand, dann würde er wie ein Opfer aussehen, nicht wie ein Täter. Angesichts seines Talents, seine Umgebung zu täuschen, spielte er den Unschuldigen sicherlich äußerst überzeugend und stiftete damit zumindest Verwirrung.
Bis zur Übergabe des Lösegelds blieben nur noch zweieinhalb Stunden.
Mitch hatte wenig Vertrauen, dass die Polizei, die von Natur aus ebenso bürokratisch vorging wie jede andere Behörde, es in dieser Zeit schaffte, das bisherige Geschehen angemessen zu beurteilen und das Richtige für Holly zu tun.
Abgesehen davon fiel der Tod von John Knox in den Zuständigkeitsbereich der einen örtlichen Polizeibehörde, der von Daniel und Kathy in den einer anderen, und Jason war wieder woanders erschossen worden. Das hieß, man hatte es mit gleich drei verschiedenen bürokratischen Strukturen zu tun.
Weil es sich um eine Entführung handelte, musste zu allem Überfluss wahrscheinlich auch das FBI hinzugezogen werden.
Sobald Mitch preisgab, was geschehen war, und um Hilfe bat, würde man seine Bewegungsfreiheit einschränken. Das bedeutete auch, dass die Verantwortung, ob Holly überlebte oder nicht, in fremde Hände überging.
Bei der Vorstellung, hilflos dazusitzen, während die Minuten vergingen und die Polizei, so wohlmeinend sie auch sein mochte, versuchte, die Lage und deren Entstehung zu analysieren, wurde ihm angst und bange.
»Wie geht es eigentlich Ihrer Frau?«, fragte Taggart unvermittelt.
Mitch fühlte sich bis ins Innerste durchschaut. Hatte der
Lieutenant bereits so viele Knoten dieses Falls gelöst, dass er ihn endgültig aufs Glatteis locken konnte?
Die verblüffte Miene, die Mitch offenbar zur Schau stellte, veranlasste Taggart dazu, seine Frage zu erläutern: »Hat sie sich von ihrer Migräne schon ein wenig erholt?«
»Ach so, ja.« Mitch schaffte es kaum, seine Erleichterung darüber zu verbergen, dass Taggarts Interesse an Holly sich um deren erfundene Kopfschmerzen drehte. »Sie fühlt sich schon besser.«
»Aber ganz vorbei ist die Sache wohl noch nicht? Eigentlich ist Aspirin ja auch nicht das ideale Mittel gegen Migräne.«
Mitch hatte den Eindruck, vor einer Falle zu stehen, aber da er nicht wusste, welcher Art diese Falle war, hatte er auch keine Ahnung, wie er ihr entgehen konnte. »Na ja, Aspirin verträgt sie eben gut«, sagte er.
»Trotzdem hat sie nun schon den zweiten Arbeitstag versäumt«, gab Taggart zu bedenken.
Wo Holly beschäftigt war, konnte der Lieutenant von Iggy Barnes erfahren haben. Das war nicht weiter überraschend. Beunruhigend war jedoch, dass er die Sache mit der Migräne offenbar weiterverfolgt hatte.
»Nancy Farasand sagt, es sei ungewöhnlich für Ihre Frau, sich krankzumelden.«
Nancy. Hollys Kollegin. Mitch fiel ein, wie er nach dem ersten Anruf der Entführer mit ihr gesprochen hatte.
»Kennen Sie Ms. Farasand, Mitch?«
»Ja, natürlich.«
»Ich habe den Eindruck, sie ist eine sehr tüchtige Person. Sie scheint Ihre Frau sehr zu schätzen.«
»Holly findet Nancy auch sympathisch.«
»Und Ms. Farasand sagt, es würde gar nicht zu Ihrer Frau passen, nicht anzurufen, wenn sie nicht zur Arbeit kommen kann.«
Am Morgen hätte Mitch Holly natürlich krankmelden müssen. Das hatte er vergessen.
Außerdem hatte er vergessen, Iggy anzurufen, um ihm mitzuteilen, dass er heute frei hatte.
Nachdem er
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