Todeszeit
Teilweise verwendet er sie dazu, um aus anderen Aktivitäten stammende Gelder zu waschen.«
Mitch hatte gedacht, er würde nun den wahren Anson kennen, einen Menschen, der völlig anders war als der, mit dem er nach Rancho Santa Fé gefahren war. Keine Illusionen mehr. Keine selbstverschuldete Blindheit.
In diesem Augenblick zeigte sich dieser Mensch jedoch in einer dritten, ebenso erschreckenden Form, die Mitch fast ebenso fremd war wie der zweite Anson, der zum ersten Mal in Campbells Bibliothek zum Vorschein gekommen war.
Ansons Kopf schien einen neuen Bewohner bekommen zu haben, der durch die Kammern des Schädels schlich und den früher so vertrauten grünen Augen eine düstere Färbung verlieh.
Auch der Körper hatte sich irgendwie verändert. Auf dem Stuhl schien eine primitivere Gestalt zu hocken als jene, die noch vor einer Minute da gesessen hatte. Sie war noch menschlich, aber ein Mensch, in dem das Tier deutlicher sichtbar war.
Diese Veränderungen nahm Mitch wahr, noch bevor sein Bruder irgendwelche Einzelheiten über Campbells wahre Geschäfte verraten hatte. Wie sehr Anson durch die Beteiligung daran korrumpiert war, zeigte sich offenbar schon, wenn er daran dachte.
»Ein halbes Prozent aller Männer ist pädophil«, fuhr Anson fort. »In den USA macht das eineinhalb Millionen. Weltweit sind es viele Millionen mehr.«
Obwohl er sich mitten in einem hellen, weißen Raum befand, hatte Mitch das Gefühl, an der Schwelle zu einer abgrundtiefen
Finsternis zu stehen. Ein Tor dorthin tat sich auf, und es gab keinen Weg zurück.
»Pädophile konsumieren geradezu manisch Kinderpornografie«, fuhr Anson fort. »Obwohl sie wissen, dass sie auch beim Kauf übers Internet jederzeit von der Polizei geschnappt werden könnten, riskieren sie alles, um an das Zeug ranzukommen.«
Wer hatte das Werk von Hitler, Stalin, Mao Tse-tung getan? Nachbarn hatten es getan, Freunde, Mütter und Väter … und Brüder.
»Wenn das Zeug aber in Form eines langweiligen Berichts über Irland oder John Wayne kommt und sich erst durch die besagte Software in aufregende Bilder und Videos verwandelt, können sie ihre Bedürfnisse gefahrlos befriedigen, und dann wird ihr Appetit erst recht unersättlich. «
Mitch hatte die Pistole auf dem Küchentisch liegen lassen. Vielleicht hatte er geahnt, was auf ihn zukam, und sich nicht zugetraut, angesichts dessen keine Kurzschlusshandlung zu begehen.
»Campbell hat bereits zweihunderttausend Kunden. In den nächsten zwei Jahren rechnet er damit, die Zahl auf eine Million weltweit zu steigern. Das bedeutet Einkünfte von fünf Milliarden Dollar.«
Mitch erinnerte sich an das Frühstück, das er sich in der Küche dieses Ungeheuers zubereitet hatte. Sein Magen zog sich zusammen, als er daran dachte, dass das von ihm benutzte Geschirr und Besteck durch solche Hände gegangen waren.
»Der Profit vom Bruttoumsatz beträgt sechzig Prozent. Die erwachsenen Darsteller tun es zum Spaß. Die jungen Stars werden nicht bezahlt, schließlich brauchen sie in ihrem Alter noch kein Geld. Und ich bin ein kleiner Teilhaber
von Julians Geschäft. Ich habe dir gesagt, es seien acht Millionen, aber in Wirklichkeit ist es dreimal so viel.«
In der Waschküche war es unerträglich eng geworden. Eine unsichtbare Menschenmenge schien sich in den Raum zu drängen.
»Tja, Bruder, ich wollte dir nur klarmachen, wie dreckig das Geld ist, mit dem du Holly freikaufst. Wenn du sie von nun an küsst oder auch nur berührst, wirst du dein Leben lang daran denken, woher dieses ganze dreckige Geld gestammt hat.«
Hilflos an den Stuhl gekettet, mit Urin und mit dem Angstschweiß getränkt, den die Dunkelheit ihm aus den Poren getrieben hatte, hob Anson trotzig den Kopf und warf sich in die Brust. Seine Augen leuchteten triumphierend, als wäre es für ihn schon Lohn genug, an Campbells abscheulichen Geschäften beteiligt zu sein. Dass er dazu beigetragen hatte, auf Kosten unschuldiger Kinder perverse Bedürfnisse zu befriedigen, half ihm scheinbar darüber hinweg, jetzt so erniedrigt zu werden.
Manche hätten das als Wahnsinn bezeichnet, doch Mitch wusste, was es wirklich war.
»Ich gehe«, sagte er, denn sonst gab es nichts mehr zu sagen, was von Bedeutung gewesen wäre.
»Was ist mit dem Elektroschock?«, fragte Anson. Sein Tonfall drückte aus, dass Mitch es doch nicht wagen würde, ihm etwas Schlimmeres anzutun.
»Meinst du den Deal, den wir gemacht haben?«, sagte Mitch. »Den kannst du vergessen.«
Er
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