Todeszeit
bloß den Hund abknallen, um dir zu demonstrieren, dass sie es ernst meinen. Indem sie stattdessen ihn erschossen haben, haben sie zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen – du hast es noch besser kapiert, und sie sind jemanden los, der auch ein Stück vom Kuchen wollte.«
Natürlich kannte Anson Jason genauso von der Schule her wie Mitch, aber offenbar war er mit ihm in Kontakt geblieben, während Mitch seinen früheren Mitbewohner aus den Augen verloren hatte.
»Möchtest du mir eigentlich etwas sagen, Mitch?«
Vielleicht hätte jemand anderer in dieser Lage tausend zornige Fragen gestellt und seinen Bruder bitter angeklagt, doch Mitch saß wie erstarrt da. Er hatte soeben einen emotionalen und geistigen Polsprung erlebt, bei dem seine bisher äquatoriale Weltsicht urplötzlich arktisch geworden war. Die Landschaft dieser neuen Wirklichkeit war ihm unbekannt, und dieser Mensch da, der seinem Bruder so ähnlich sah, war nicht der Bruder, den er gekannt hatte, sondern ein Fremder. Wie zwei Bewohner verschiedener Länder, die keine gemeinsame Sprache hatten, standen sie sich auf einer trostlosen Ebene gegenüber.
Anson empfand Mitchs Schweigen offenbar als Herausforderung oder gar als Affront. Er beugte sich vor, um eine Reaktion zu erzwingen, sprach dabei jedoch mit der brüderlichen Stimme, derer er sich bisher immer bedient hatte. Vielleicht war seine Zunge so an den weichen Tonfall des Betrugs gewöhnt, dass sie jetzt gar nicht schärfer klingen konnte.
»Nur damit du nicht den Eindruck hast, du würdest mir weniger bedeuten als Megan, Connie und Portia, möchte ich etwas klarstellen. Ich habe ihnen gar kein Geld gegeben, damit sie sich selbstständig machen konnten. Das war Blödsinn, Bruderherz. Ich habe dich hereingelegt.«
Gerade weil von ihm so deutlich eine Antwort gefordert wurde, gab Mitch keine.
Wer Fieber hat, der fröstelt manchmal. So blieb auch Ansons starrer Blick vollkommen eisig, obwohl dessen Intensität eine fiebrige Erregung erkennen ließ. »Übrigens
wäre ich gar nicht pleite, wenn ich zwei Millionen abschreiben müsste. Die Wahrheit ist … ich habe knapp acht.«
Hinter dem bulligen, bärenhaften Charme spähte etwas Verschlagenes hervor, und ohne es ganz zu begreifen, spürte Mitch, dass er und sein Bruder nicht richtig allein waren, obwohl sich niemand sonst im Raum befand.
»Ich habe die Jacht schon im März gekauft«, sagte Anson. »Ab September führe ich mein Consultinggeschäft vom Meer aus, über eine Satellitenverbindung. Das habe ich mir verdient, und niemand wird mir auch nur zwei Cent von meinem Geld abnehmen.«
Hinter Mitch fiel leise die Tür der Bibliothek ins Schloss. Jemand war eingetreten – und wollte bei dem, was nun kam, ungestört bleiben.
Die Pistole schussbereit, erhob Anson sich aus seinem Sessel und versuchte dabei noch einmal, Mitch eine Reaktion zu entlocken. »Du kannst dich damit trösten, dass Holly die Sache bald überstanden hat, statt noch bis Mittwochnacht warten zu müssen.«
Mit einem Selbstvertrauen und einer Geschmeidigkeit, die an eine entfernte Verwandtschaft mit einem Panther denken ließ, trat ein groß gewachsener Mann in Mitchs Blickfeld. Seine eisengrauen Augen leuchteten vor Neugier, seine Nase war gehoben, als suchte sie nach einem schwer zu bestimmenden Geruch.
»Wenn ich morgen Mittag nicht zu Hause bin, um den nächsten Anruf entgegenzunehmen«, sagte Anson zu Mitch, »und wenn sie dich nicht auf deinem Handy erreichen können, dann wissen sie, dass man mich nicht unter Druck setzen kann. Daraufhin werden sie Holly sofort umlegen, die Leiche irgendwo aus dem Wagen werfen und das Weite suchen.«
Der selbstbewusste Neuankömmling trug elegante Slipper mit Troddeln, schwarze Seidenslacks und ein graues Seidenhemd,
das zur Farbe seiner Augen passte. Eine goldene Rolex funkelte an seinem linken Handgelenk, die gepflegten Fingernägel waren auf Hochglanz poliert.
»Foltern wird man sie nicht«, fuhr Anson fort. »Das war reiner Bluff. Wahrscheinlich vögeln die Typen sie nicht mal, bevor sie sie umbringen, obwohl ich das an deren Stelle tun würde.«
Zwei muskulöse Männer traten hinter Mitchs Sessel hervor und postierten sich links und rechts neben ihm. Beide trugen Pistolen mit Schalldämpfer, und ihre Augen waren etwas, das man normalerweise nur hinter den Gitterstäben eines Käfigs sah.
»Er trägt hinten im Gürtel eine Waffe«, teilte Anson den beiden mit. Zu Mitch sagte er: »Die habe ich gespürt, als ich dich umarmt
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