Todfeinde
für einige Kollegen schleichend zu einer einsamen Hölle und zehrte sie innerlich auf.
»Nicht, dass es damals, als ich als Aufseher anfing, keinen Druck gegeben hätte«, sagte Trey. »Wir mussten uns mit Wildererbanden, sturen Landeigentümern und gewalttätigen Schwachköpfen auseinandersetzen, brauchten uns aber nicht so viel um politische Dinge zu kümmern.«
»Sie denken also, Will hat die Belastungen nicht verkraftet?«, fragte Joe.
Trey nickte. »Natürlich bin ich mir nicht sicher. Er hat das so nie gesagt und nur ab und an gemeckert, wie wir es alle tun. Aber Jackson ist, was das angeht, ein Hexenkessel. Es scheint so, als wären dort alle Extreme versammelt: Jäger gegen Tierrechtsaktivisten, Bauunternehmer gegen Umweltschützer, Arme gegen Reiche, Grundeigentümer aus anderen Bundesstaaten gegen einheimische Bauerntölpel, Bärenfallen aufstellende Wilderer gegen glückliche Wanderer. Und das ist beileibe kein lokales Problem. Es ist auf nationaler und internationaler Ebene genauso. Ich fürchte, er dachte, praktisch jeder will etwas von ihm oder hat irgendetwas daran auszusetzen, wie er seine Arbeit macht. Er hat mir das nie gesagt, aber man muss nur in die Zeitung schauen, um zu sehen, was rings um ihn herum los war.
Jackson ist einzigartig, Joe«, fuhr Trey fort. »Alles dort ist extrem. Es geht in jeder Hinsicht hitziger zu. Jackson ist das Kalifornien von Wyoming, im Guten wie im Schlechten. Was dort geschieht, beeinflusst letztlich auch den Rest des Staates und wirkt sogar darüber hinaus. Alle wissen das. Und darum fangen die großen Auseinandersetzungen genau dort an. Und wer sie gewinnt, weiß, dass er nirgendwo sonst auf so harten Widerstand treffen wird. Dort verläuft die Frontlinie.«
Joe unterbrach Trey nicht, da er wusste, wie selten er mehr als nur ein paar Worte sagte. Trey hatte sich ihn ausgesucht, um sich etwas von der Seele zu reden, und Joe fügte sich in diese Rolle und beließ es bei wenigen, knappen Kommentaren.
Trey blickte auf und sah ihm in die Augen. »Will Jensen muss zuletzt eine gequälte Seele gewesen sein. Es tut mir unendlich leid für ihn.«
»Von ihm hätte ich das am allerwenigsten erwartet.«
Trey nickte. »Geht mir genauso. Er war jahrelang durch nichts zu erschüttern. Doch in den letzten sechs Monaten hat er sich verändert. Ich weiß nur nicht, warum.«
Er ließ sich schweigend nach vorn sinken, stieg dann aus dem Auto und suchte mit dem Fernglas die Wiesen und den Waldrand nach einem Hinweis auf den Grizzly ab. In der späten Nachmittagssonne warfen die Bäume lange Schatten. Joe beobachtete Trey und dachte über das nach, was er ihm gerade erzählt hatte.
»Ich wünschte, 304 würde sich zeigen«, meinte Trey und stieg wieder ein.
»Noch mal zu Will. Was war denn im letzten halben Jahr mit ihm?«
Trey ließ sich in den Sitz sinken. »Wie gesagt, er hat sich verändert. Zum Beispiel hat er kaum noch Berichte geschickt, und die ein, zwei Texte, die ich bekam, waren die reinste Schlamperei. Mindestens zweimal hat man ihn wegen Alkohol am Steuer festgenommen. Vermutlich gab es weitere Vorfälle, bei denen ihn die Polizisten vor Ort haben laufen lassen. Er soll sogar bei einer Bonzenparty rausgeflogen sein, weil er sich mit jemandem prügeln wollte.«
» Will? «, fragte Joe entsetzt.
»Will. Und jüngst habe ich erfahren, dass seine Frau mit den Kindern bei ihm ausgezogen ist.«
»Susan hat ihn verlassen?«
Scheidungen waren unter Jagdaufsehern weit verbreitet, schlimmer noch als bei Polizisten. Das lag an der Natur ihrer Arbeit, der Abgeschiedenheit der staatlichen Dienstwohnungen, der Unbeirrbarkeit, mit der die meisten (auch Joe) ihren Beruf ausübten, und am zunehmenden Druck von außen. Außerdem hatte Joe zu Beginn seiner Tätigkeit schnell gemerkt, dass sich manche Frauen für Männer in Uniform interessierten. Er hatte ihnen stets widerstanden, wusste aber, dass er nicht vollkommen war. Doch Will Jensen war nahezu vollkommen gewesen. Deshalb hatte man ihm ja auch Jackson zugewiesen.
»Ich mache mir inzwischen Vorwürfe, weil ich das hätte kommen sehen müssen. Ich hätte meinen fetten Hintern über die Berge bewegen und mit Will reden sollen. Vielleicht hätte ich ihm helfen können.«
»Machen Sie sich keine Vorwürfe«, erwiderte Joe. »Will hat Sie schließlich nicht um Hilfe gebeten.«
»Würden Sie das denn tun?«, fuhr Trey ihn an.
Joe musste nicht lange nachdenken. »Vermutlich nicht.«
Trey nickte triumphierend. »Natürlich
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