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Todfeinde

Todfeinde

Titel: Todfeinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
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und gedrungen, hatte ein ebenso strenges wie offenes Gesicht, kurzes silbergraues Haar und trug einen Maßanzug. Er schien einer von der Sorte zu sein, die mit gesenktem Kopf und hochgezogenen Schultern durch ein Zimmer stürmen und erwarten, dass alle anderen ihm ausweichen. Die Frau war bleich wie Elfenbein, hatte stechende schwarze Augen und einen vollen, dunkel geschminkten Mund. Sie trug einen schicken Rollkragenpullover sowie Rock, Strümpfe und hochhackige, über den Knöcheln geschnürte Schuhe, alles in Schwarz. Da sie die Füße auf die untere Leiste des Hockers stützte, schimmerten dort, wo die Strümpfe spannten, die bleichen Knie durch. Eine Leuchtreklame für Bier hinterlegte ihr volles Haar mit einer Art Heiligenschein. Joe hob seinen Drink und formte mit den Lippen ein lautloses »Danke«.
    Der Mann nickte geschäftsmäßig. Die Frau lächelte knapp und wandte sich wieder um. Dann geschah etwas Überraschendes: Sie sah sich erneut zu ihm um, blickte ihn direkt, ja schamlos an, strich sich das volle, kastanienbraune Haar aus der Stirn und drehte sich wieder zur Theke. Joe spürte eine innere Regung.
    »Wer sind die zwei?«, fragte er Adrian, als dieser an seinem Tisch vorbeikam.
    Der Kellner trat einen exaltierten Schritt zurück. »Sie kennen Don und Stella Ennis nicht? Du meine Güte!«
    »Ich bin neu hier.«
    »Dann müssen Sie sie kennenlernen. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll – es gibt so viel über sie zu sagen.«
    Nachdem Joe mit schlechtem Gewissen gezahlt hatte, weil die Rechnung acht Dollar über seinem Tagesspesensatz lag, ging er in die Bar. Don und Stella Ennis saßen nicht mehr am Tresen, und er warf einen Blick in die Nischen. Er hätte ihnen gern gedankt, zögerte aber, sie bei ihrem späten Abendessen zu stören. Doch er konnte sie ohnehin nicht entdecken.
    Also fragte er den Mann hinter der Theke: »Sind die Ennises schon gegangen?«
    Wie zuvor Adrian machte auch der Barkeeper bei diesem Namen große Augen. »Sind Sie der neue Jagdaufseher?«
    »Ja.«
    »Mr. Ennis hat das für Sie hinterlassen.« Er schob einen neuen Drink über den Tresen und gab Joe eine Visitenkarte:
    Don Ennis
    Bautunternehmer, Beargrass Village
    Joe drehte die Karte um. Auf der Rückseite stand eine handgeschriebene Nachricht.
    »Willkommen in Jackson«, hieß es da. »Ich habe mit Will zusammengearbeitet und melde mich bei Ihnen.«
    Joe nippte an seinem Drink, steckte die Karte ein und ging nach draußen. Auf dem Weg zu seinem Wagen blies ihm die frische, schneidende Nachtluft entgegen. Immerzu musste er daran denken, was eben geschehen war. Hatte sie ihn wirklich so angesehen? Hatte er ihren Blick tatsächlich erwidert?
    Ja, dachte er, sowohl als auch.
    Er musste Marybeth anrufen, wollte aber erst einen klaren Kopf bekommen. Und er brachte es nicht über sich, mit ihr zu telefonieren, solange ihm Stellas Bild so deutlich vor Augen stand.
    Ehe Joe sich auf die Suche nach einem Motel machte, ermittelte er anhand eines aus dem Telefonbuch gerissenen Stadtplans, wo Will Jensen gewohnt hatte. Sein Haus stand in einer der alten, engen und von Bäumen gesäumten Straßen am Fuße des Snow King Mountains, einem Stadtteil, der vierzig Jahre vor der Zeit erbaut worden war, in der Jackson sich zu dem Ferienort entwickelt hatte, der es heute war. Von seinem einzigen Besuch hatte Joe nur noch eine schwache Erinnerung an das Haus. Er parkte davor und betrachtete es in seiner dunklen Ruhe. Wills Pick-up stand noch in der Einfahrt. Eine riesige Pyramidenpappel, deren Blätter bereits verfärbt und welk waren, verdeckte das halbe Dach. Die Fenster waren schwarze Rechtecke und so tot wie die Augen der Jagdtrophäen im Behördengebäude.
    Zögernd stieg Joe aus und überquerte die Straße. Er versuchte, die Tür von Wills Wagen zu öffnen, doch sie war abgeschlossen, und im dunklen Führerhaus ließ sich nichts erkennen. Das einzige Licht kam von der blassblauen Straßenlaterne an der nächsten Ecke, von den Sternen und der Mondsichel. Die Wagenschlüssel lagen vermutlich im Büro oder beim Sheriff, und er würde sie am nächsten Tag bekommen. Als er den von Rissen durchzogenen, asphaltierten Weg hinaufging, trat er auf welke, eingerollte Blätter, deren Aussehen an kleine Fäuste erinnerte. Drei Streifen rotes Absperrband blockierten den Eingang, und an der Fliegengittertür hing eine Mitteilung des Sheriffs von Teton County, die besagte, dass das Haus während der Ermittlungen versiegelt war.
    Wie würde es sein, in

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