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Todfeinde

Todfeinde

Titel: Todfeinde Kostenlos Bücher Online Lesen
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einem Haus zu leben, dessen letzter Bewohner sich in den Kopf geschossen hatte? Es fröstelte Joe, und er versuchte, diesen Gedanken loszuwerden.
    Er fand ein billiges Motel, in dem er zum vom Staat Wyoming für seine Mitarbeiter festgelegten Satz übernachten konnte, und buchte ein Zimmer. Die Bettdecke war grün und dünn, es gab nur einen Plastikbecher und ein Stück Seife am Waschbecken, und der Fernseher war an die Wand geschraubt, damit man ihn nicht stehlen konnte. Der winzige Schreibtisch war gerade groß genug, um die Aktentasche darauf abzulegen.
    Joe setzte sich aufs Bett und breitete die Notizbücher vor sich aus. An diesem Abend würde er mit Nr. 1 anfangen und vielleicht noch Nr. 2 dranhängen. Und am nächsten Tag würde er sich auf die Suche nach Nr. 11 begeben – nach Wills letztem Notizbuch.
    Als Erstes aber musste er zu Hause anrufen. Er sah auf die Uhr. Es war halb zwölf – schon eine Stunde nach ihrer üblichen Schlafenszeit. Sollte er Marybeth aufwecken, bloß um ihr zu sagen, er sei in Jackson angekommen? Aber vielleicht war sie noch gar nicht im Bett. Sie las womöglich, ärgerte sich darüber, dass er nicht angerufen hatte, und machte sich Sorgen.
    Er hielt den Hörer ans Ohr. Die Leitung war tot. Die Rezeptionistin – eine schläfrige Frau mit blutunterlaufenen Augen – musste vergessen haben, sein Telefon freizuschalten. Sollte er sie wecken? Nein. Er nahm sein Handy aus dem Tagesrucksack und drückte die Kurzwahltaste. Marybeth war beim vierten Läuten am Apparat.
    »Joe?« Er merkte, dass sie nicht gerade erfreut war. Sie klang müde, und ihre Stimme hatte etwas Eisiges. »Du wolltest doch anrufen, sobald du in Jackson angekommen bist.«
    »Ich hatte keine Gelegenheit dazu.« Seine Erschöpfung und der Bourbon ließen ihn mit schwerer Zunge reden. »Erst hat mich der stellvertretende Direktor runtergeputzt, und dann wurde ich zu einem Einsatz gerufen.«
    »Es ist fast Mitternacht.«
    »Ich weiß«, erwiderte er träge.
    »Warum hast du dann nicht am Nachmittag angerufen?«
    »Hab ich doch gesagt: Ich hatte sofort einen Einsatz.«
    »Ich war eben eingeschlafen. Warum bist du noch wach?«
    »Ich hab gerade erst mein Zimmer bezogen.«
    Das Handy piepste, und er teilte ihr mit, dass sein Akku fast leer sei.
    »Du klingst, als hättest du getrunken, Joe. Und warum rufst du per Handy an?«
    »Das Telefon hier im Motel funktioniert nicht.«
    »Wo schläfst du denn?«
    Joe sah auf. Wie hieß der Laden überhaupt? Herrgott … Wie eine dieser alten Westernserien.
    »Das weißt du nicht?«
    »Bonanza«, sagte er schließlich und kam sich dumm dabei vor.
    »Gut … « Ihre Stimme klang etwas argwöhnisch, und das gefiel Joe nicht.
    »Marybeth, ich konnte nicht früher anrufen, ja? Tut mir leid. Hier ist jede Menge los, und ich steck mittendrin. Ich melde mich morgen, und wir holen das Versäumte nach, gut?«
    »Ich bin inzwischen hellwach, Joe«, sagte sie mit feindseligem Unterton.
    Sein Handy gab den Geist auf. Er fluchte und starrte auf das Display, als würde das Handy dadurch wieder angehen. Das Ladegerät lag im Pick-up. Er machte sich auf den Weg, blieb aber an der Tür stehen, denn er wusste nicht genau, wo er es verstaut hatte, und danach zu suchen, würde dauern. Er war müde und er ärgerte sich über Marybeth. Was warf sie ihm da eigentlich vor? War ihr denn nicht klar, dass er einen Beruf zu erfüllen hatte? Warum machte sie ihm ein schlechtes Gewissen? Er war einsam, genau wie sie. Und er erwartete von ihr eigentlich nur, ihm zu sagen, dass sie ihn liebe und vermisse und dass alles gut werden würde.
    Er seufzte und nahm sich vor, am nächsten Tag anzurufen. Bis dahin hätte er sich gesammelt, und sicher würde er dann auch mehr Zeit haben. Vielleicht vor der Trauerfeier.
    Er nahm Notizbuch 1 zur Hand, doch schon bald verschwammen ihm die Buchstaben vor den Augen.
    Schüsse ließen ihn hochschrecken. Er setzte sich auf und einen Moment lang wusste er nicht, wo er war. Er sah sich um und staunte darüber, dass er noch angezogen war und die Nachttischlampe brannte. Das geöffnete Notizbuch lag auf seinem Schoß.
    Nein, das war keine Schusswaffe, sondern irgendetwas auf der anderen Seite der Wand. Joe stand auf, rieb sich die Augen und sah auf die Uhr: Viertel vor fünf. Er hörte ein Rascheln aus dem Nachbarzimmer. Dann knallte es wieder. Das Geräusch drang aus dem Einbauschrank, in den er sein Uniformhemd und seine Jacke auf Bügel gehängt hatte, die sich nicht von der Stange

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