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Todfeinde

Todfeinde

Titel: Todfeinde Kostenlos Bücher Online Lesen
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hatte er in Wills Kisten stundenlang vergeblich nach dem Notizbuch oder irgendetwas anderem gesucht, das ihm eine genauere Vorstellung davon hätte geben können, was geschehen war. Danach hatte er geduscht und war ins Stadtzentrum gefahren, wobei seine Gedanken schwerfällig und wie verschleiert waren. Als sein Verstand langsam erwachte, merkte er, dass er hungrig war. Er entdeckte ein Lokal namens Sportsman’s Café, das, wie ein Schild an der Tür verkündete, um halb sechs öffnen sollte. Bis dahin vertrieb er sich die Zeit auf dem Stadtplatz. Seine Stiefel hallten auf den frostigen Gehsteigplanken, und der Atem drang ihm in weißen Wölkchen aus dem Mund. Er betrachtete die mächtigen, mit Wapitigeweihen bestückten Bögen an den Platzecken, die über die Jahre weiß geworden waren.
    Designermodeläden und Fachgeschäfte säumten den Platz, außerdem gab es Kunstgalerien und Angelgeschäfte für Fliegenfischer, die Million Dollar Cowboy Bar, in der man nicht auf Hockern, sondern auf Sätteln saß, und Restaurants, die seinen Tagesspesensatz sprengen würden wie Dynamit. Joe blieb kurz vor Birdys Wildwater Photography stehen und besah sich die Auslage. Fröhlich kreischende Familien schossen in Rettungswesten durchs Wildwasser; andere Bilder zeigten Skiläufer in Aktion. Sie alle sahen aus, als seien sie nie im Leben so glücklich gewesen.
    Joe wünschte, er könnte das auch von sich behaupten. Er konnte sich jene Benommenheit, die noch immer nicht ganz von ihm abgefallen war, nicht erklären, hoffte aber, sie sei nur das Resultat von Schlafmangel, Hunger und fehlender Orientierung. Und obwohl er das unbestimmte Gefühl hatte, dass noch etwas anderes dahinterstecken könnte, wollte er sich nicht davon beunruhigen lassen. Immerhin hatte er bisher kaum Zeit gehabt, sich einzugewöhnen, und er durfte sich jetzt nicht in seiner Einsamkeit suhlen. Ein Jagdaufseher war tot, und Trey hatte ihm einen Auftrag erteilt. Doch zunächst brauchte er ein großes Frühstück.
    Kaum hatte der Inhaber die Tür aufgeschlossen und geöffnet, kam Joe ins Lokal. Der Mann trat beiseite und fragte: »Den üblichen Tisch, Will?«
    »Ich bin nicht Will.«
    Der Inhaber war klein und dick, hatte einen schwarzgrau melierten Stoppelbart und eine Knollennase und kaute auf einem Zahnstocher. Er trug eine fleckige Schürze über einem kragenlosen Polohemd, hielt einen Kaffeebecher in der Hand und wirkte perplex.
    »Natürlich nicht«, sagte er nach einer langen Pause und mit errötendem Gesicht. »Ich kenne Sie ja gar nicht.«
    »Joe Pickett. Ich bin der Neue.«
    »Ed«, erwiderte der Mann und stellte seinen Kaffee auf einen Tisch, um ihm die Hand zu schütteln. »Mir gehört der Laden, noch jedenfalls.«
    Joe gab ihm die Hand und entschied sich für einen Tisch an der beschlagenen Scheibe nahe der Schwingtür zur Küche. »Ich bin wirklich hungrig, Ed.«
    »Dann ist unser Spezialfrühstück genau das Richtige: paniertes Steak aus der Pfanne mit Bratensoße, drei Eiern, Fleischbällchen und Toast. Wie möchten Sie Ihr Fleisch und die Eier?«
    »Das Fleisch halb durch, das Spiegelei gewendet. Und Kaffee.«
    »Natürlich.«
    Joe setzte sich, knöpfte die grüne Uniformjacke auf, trank Kaffee und Wasser mit Eis und hörte zu, wie es munter brutzelte. Aus dem Radio in der Küche drang kratzige Country-Musik. Das Sportsman’s Café erschien Joe zwischen all den Kunstgalerien und Nobel-Outlets völlig fehl am Platz. Drinnen war es dunstig und dunkel, und in Richtung der Toiletten klebte die Wand voller Handzettel, die für Pferdemärkte in der Umgebung sowie für Veranstaltungen warben, bei denen drei Reiter jeweils drei Tiere aus einer Rinderherde aussondern und in einen Pferch treiben müssen, ohne dass die Herde ihnen folgt. Hinterm Tresen hing der Kalender eines Futtermittelhandels. Köpfe von Wapitis, Rotwild und Pronghorns sowie das Haupt eines Grizzlys, der noch vor Verabschiedung des Gesetzes zum Schutz gefährdeter Arten erlegt worden war, starrten von den Wänden. Die Speisekarte (eine einzelne laminierte Seite) bestand aus den üblichen Elementen eines deftigen, typisch amerikanischen Riesenfrühstücks: aus Eiern, Pfannkuchen, Waffeln und Wurstpasteten.
    Joe sah von der Karte auf, als Ed Kaffee nachfüllte. »Süße Eierkuchen gibt’s bei mir nicht«, sagte der ältere Mann, »und auch nichts mit Sprossen, mit Sauce hollandaise oder Sauce béarnaise. Hier gibt’s nur die gute alte Bratensoße.«
    »Und so gehört sich das auch«,

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