Todgeweiht im Münsterland - Westfalen-Krimi
einen alten Sessel und balancierte den hausgemachten Cappuccino
in der rechten Hand. »Ich beantrage eine neue Ausgrabung, und Sie«, dabei
fixierte er erst Cornelia und dann Matthias, »berichten mir mal die Ergebnisse
des heutigen Abends. Die geistigen Ergebnisse, wohl gemerkt, die anderen kenne
ich schon.« Er trank, starrte in das prasselnde Feuer, trank erneut und zog
schließlich gedankenverloren die Schuhe aus.
An dieser Stelle
wurde mir klar, dass Delbrock der lässigste Mensch war, der mir in letzter Zeit
untergekommen war. Dieser Mann hatte etwas absolut Unabhängiges. Unabhängig von
der Einschätzung anderer. Der Urwestfale , so nannte
ich ihn für mich.
Matthias schaute
Cornelia an. Ich schaute Cornelia an.
»Ich bin
Kunsthistorikerin, Herr Delbrock, und als solche weiß ich, dass das Tagebuch
echt ist. Es befand sich in den Unterlagen meines Großvaters, der es
seinerseits von einem Verwandten erhalten oder in seinem Elternhaus gefunden
hat. Ich bin mir sicher, dass der dort beschriebene Mord an Clemens Hovermann
auch tatsächlich geschehen ist. Wenn wir die Leiche hier nicht finden, dann nur
aus zwei Gründen: Sie wurde bereits vor Jahrzehnten umgebettet, oder wir haben
bislang an der falschen Stelle gesucht.«
Delbrock ließ
nicht locker. »Sie vertreten aber die Theorie, dass dieser Bauernsohn noch
immer hier liegt, besser gesagt, seine Überreste. Viel kann das nicht mehr
sein. Umso interessanter, wie verlockend dieses wenige für irgendjemanden zu
sein scheint. Kein lebender Nachfahre kann etwas mit einem so alten Mord zu tun
gehabt haben.«
Matthias ergänze
Cornelias Bericht. »Wir haben herausgefunden, und dies übrigens an Hand des
gestohlenen Lageplans, dass es an der Scheune vor hundertzwanzig Jahren anders
aussah. Die Scheune war kleiner, und die jetzige Eiche steht ein Stück weiter.
Folgerichtig kann unter unserer Eiche nicht das Grab von Clemens Hovermann
sein.«
Delbrock schlürfte
weiter an seinem Cappuccino. Ich ärgerte mich, weil ich ebenfalls Lust auf
einen solchen Kaffee gehabt hätte, aber mich nicht traute, Mona Schulze Nüßing
erneut in die Küche zu schicken. Und auch die Art und Weise, wie Delbrock von
sterblichen Überresten sprach, gefiel mir nicht.
Eigentlich wollte
ich nach Hause. Ich hatte doch gar nichts mit diesen Leuten zu tun.
Ein Blick in
Cornelias Kinderaugen belehrte mich eines Besseren.
Ich hörte die
Stimme des Hauptkommissars und spürte, wie die Spannung im Raum stieg. »Und wo
soll dann das tatsächliche Grab von diesem Clemens sein, hm?«
»Es liegt unter
dem Scheunenboden, etwa zehn Meter von der Linie entfernt, die den alten
Fußboden von dem neueren Boden abgrenzt.«
»Die Scheune würde
bei einer Ausgrabung beschädigt werden.«
Jetzt schaute
Matthias zu seinem Vater. »Diese Scheune ist nun schon sehr alt. Wir
entscheiden nach dem Graben, was mit ihr geschehen soll. Momentan lagert nichts
von Bedeutung darin.«
Cornelia stand
auf, etwas langsamer, als ich es von ihr kannte, und sagte: »Gebt uns Bescheid,
wenn es losgeht. Jetzt will ich nach Hause.«
Sie hatte es
plötzlich sehr eilig, und fünf Minuten später saßen wir in meinem Auto und
fuhren auf der Landstraße Richtung Münster.
»Du wolltest nach
Hause, nicht wahr?«, bemerkte sie plötzlich. »Geht es dir nicht gut?«
Ich war überrascht
über ihre empathische Wahrnehmung und antwortete ausweichend: »Es ist spät
geworden, und ich muss morgen früh aufstehen.«
»Du musst ins
Büro?«
»Auch.«
Cornelia massierte
sich vorsichtig ihre Schläfen. »Ich habe nachgedacht.«
»Ich hoffe doch,
dass du das öfter tust.« Ich hielt an einer Kreuzung und bemerkte, dass ich die
Orientierung verloren hatte.
Cornelia lachte.
»Dieses Mal habe ich sogar ergebnisorientiert nachgedacht. Stell dir mal vor,
du hättest einen Sohn, den du sehr liebst.«
»Ich habe mich
verfahren.«
»Und diesen Sohn
musst du nun quasi aus dem Haus treiben, ihn in die unbekannte Ferne schicken.
Was tust du?«
»Ich stehe hier,
weil ich nicht weiterweiß.«
Endlich reagierte
sie, wenn auch voller Ungeduld, und schaute nach rechts und links. »Michael, du
musst eine Ausfahrt verpasst haben. Fahr zurück. Also, was tust du?«
Ich wendete und
überlegte, worauf Cornelia hinauswollte. »Nun ja, heutzutage würde ich ihm
meine E-Mail-Adresse mitgeben und ein gutes Handy.«
»Und damals? Du
hattest keinen Schimmer davon, wohin es deinen Sohn verschlägt und womit er
seinen Lebensunterhalt verdienen könnte.
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