Todsünde (German Edition)
gegen sie gehabt, wenn sie sie nicht immer mit diesen Blicken bedenken würde. Ihr kam es so vor, als ob die Pflegerin etwas gegen sie hätte. Als sie vor einigen Wochen einmal mit Robert zusammen vorbeikam, hatte sie besonders stechende Blicke auf sich gespürt. Blicke, die töten könnten.
„ Wie geht es dir heute, Mom, gut?“
Martha Scott kniff einmal die Augen zusammen. Seit ihrem Schlaganfall konnte sie nicht mehr sprechen und auch den Kopf nicht mehr richtig bewegen. Sie blinzelte einmal für „ja“ und zweimal für „nein“. Die Leute beteuerten andauernd ihr Mitleid für diesen Zustand, sagten Lindsay und Tommy, wie leid es ihnen für sie tat, solch eine Mutter zu haben.
Lindsay wusste gar nicht, was die Leute hatten. Sie war froh, dass ihre Mutter den schlimmen Schlaganfall überlebt und sich soweit wieder erholt hatte, dass sie im eigenen Heim leben konnte. Und wenn sie sich die Beschwerden ihrer Freundinnen und Bekannten so anhörte, wenn die sich darüber beklagten, dass ihre Mütter ihnen immer Vorschriften machen wollten und sich in alles einmischten, dann war es vielleicht gar nicht so schlecht, wie es war. Martha war eine gute Zuhörerin, Lindsay konnte ihr alles anvertrauen, ohne dass sie darüber urteilte, und sie konnte die Freude in ihren Augen sehen, jedesmal wenn sie erschien.
„Schön, Mom, ich freue mich, dass es wenigstens dir gut geht. Mir geht es leider nicht so gut. Vielleicht hast du es am Sonntag schon von Tommy gehört, dass es mit Robert nicht so gut gelaufen ist in letzter Zeit. Ich habe nun leider sehr schlechte Nachrichten: Robert ist gestorben“, brachte sie unter Mühen heraus.
Sie sah die Traurigkeit in den Augen ihrer Mutter und wusste, dass diese nur ihr galt. Sie hatte Robert höchstens ein paarmal gesehen, kannte ihn kaum, doch sie wusste, wie viel er ihrer Tochter bedeutet hatte. Lindsay begann zu weinen und weinte sich mal so richtig aus. Und nun wünschte sie sich doch, dass ihre Mom ganz normal wäre und sie in den Arm nehmen könnte.
Die Tür wurde geöffnet und Lindsay schreckte hoch. Es war ihr peinlich, sich so gehen lassen zu haben.
Es war Molly, die sich verabschiedete. Es war zwei Uhr und ihre Schicht war um. Jetzt würde Seth übernehmen, der bereits eingetroffen war. Er kam sogleich ins Zimmer und begrüßte Martha: „Hallo, Mrs. Scott, wie geht es uns denn heute? Ich habe Ihnen Erdbeeren mitgebracht. Die mögen Sie doch so gerne. Ich werde Ihnen gleich welche schneiden, ja?“
Dann fiel sein Blick auf Lindsay, der er wie immer höflich die Hand schüttelte.
Lindsay war es so unangenehm, dass jeder sie mit Tränen im Gesicht sah. Sie hatte versucht, sie noch wegzuwischen, doch ein Blinder musste sehen, dass sie geweint hatte. Aber weder Molly noch Seth erwähnte es und Lindsay war dankbar. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, wie Karen in dieser Situation reagiert hätte.
Als Molly sich auf den Heimweg und Seth auf den Weg in die Küche gemacht hatte, erzählte Lindsay weiter: „Ach, Mom, es ist so viel Schlimmes passiert in den letzten Tagen. Robert ist gestorben, Tommy wurde des Mordes verdächtigt und musste eine Nacht in der Zelle verbringen, unsere ganze Wohnung wurde auf den Kopf gestellt auf der Suche nach der Tatwaffe, und zu Guter Letzt habe ich auch noch herausgefunden, dass Jess die ganze Zeit eine heimliche Affaire mit Robert hatte. Meine beste Freundin! Ich bin so enttäuscht und wütend und traurig und vor allem müde. Ich habe seit einer Woche nicht mehr richtig geschlafen und weiß nicht, ob ich jemals wieder zur Ruhe kommen werde.“
Sie lehnte sich zurück in dem Sessel, in dem sie ihrer Mom gegenüber saß und sah sie an. Dann beugte sie sich wieder zu ihr nach vorne und fragte sie: „Glaubst du, es wird eines Tages alles wieder gut, Mom?“
Ihre Mutter blinzelte einmal. Ja. Es wird bestimmt alles wieder gut.
Okay, dachte Lindsay, ich glaube dir. Sie lehnte sich wieder zurück und schloss die Augen. Sie war so unglaublich müde.
Ein paar Minuten später war sie eingeschlafen. Sie bekam gerade noch mit, wie Seth mit den Erdbeeren für ihre Mom zurück ins Zimmer kam und ihr eine flauschige Decke überlegte, und dann war sie im Land der Träume.
** *
Als Lindsay erwachte, war es bereits dämmrig. Wie lange hatte sie so vor sich hin gedöst? Sie hatte gar nicht einschlafen wollen, doch die Müdigkeit hatte sie übermannt.
Als sie in die Küche kam, saßen ihre Mutter und Seth am Tisch und aßen Abendbrot.
„Oh, sind
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