Todsünde (German Edition)
Wecker sah, stellte sie erstaunt fest, dass es bereits nach zehn war. Sie hatte, nachdem sich die Realität endlich einen Weg in ihr Herz gebahnt hatte, nicht aufhören können zu weinen und war erst eingeschlafen, als der Morgen bereits dämmerte.
„Hallo?“, meldete sie sich schnell. Sie hoffte sehr, dass es Neuigkeiten aus dem Polizeirevier waren und sie Tommy bald freilassen würden.
Die ganze Zeit über hatte sie ein schlechtes Gewissen. Sie hatte Tommy das alles eingebrockt. Es war ja wohl offensichtlich, dass er nicht der Mörder war, und nur dank ihr musste er die Nacht in einer Polizeizelle verbringen. Sie stellte ihn sich vor, in dieser leeren kalten Zelle, unschuldig. Hoffentlich würden die forensischen Ergebnisse bald seine Unschuld beweisen.
Sie fragte sich auch, warum das verdammt noch mal so lange dauerte. In diesen Krimi-Fernsehserien konnten die Gerichtsmediziner doch immer sofort den Todeszeitpunkt bestimmen. In diesem wahren Fall allerdings hatte man die Zeit nur eingrenzen können und musste erst weitere Untersuchungen anstellen. Da es aber in einer Stadt wie New York täglich Morde gab, dauerte das Ganze eine gefühlte Ewigkeit. Klar, die Polizei und die Gerichtsmedizin waren wie alle anderen staatlichen Einrichtungen eindeutig unterbesetzt, aber es gab einen Unschuldigen, der auf Antworten wartete – und eine Schwester, die aus lauter Sorge und Frustration noch aus allen Nähten platzen würde, wenn sie nämlich den gesamten New Yorker Schokoladenvorrat verbrauchen würde.
„Hier spricht Detective Snider vom New York Police Department. Miss Scott, Sie können Ihren Bruder jetzt auf dem Revier abholen.“
„Ich komme sofort!“, rief Lindsay und war schon aufgesprungen, um sich schnell fertigzumachen. Als sie sich im Badezimmer die Zähne geputzt und die Kontaktlinsen eingesetzt hatte, und sich im Spiegel sah, brach sie weinend zusammen. Aus Erleichterung. Aus Verzweiflung. Tommy war frei.
Doch Robert war tot. Sie würde ihn nie wieder küssen können. Nie mehr durfte sie in seinen starken Armen aufwachen. Wer hatte ihr ihren Mann nur weggenommen?
** *
Sie nahm sich ein Taxi. Eine halbe Stunde später traf sie auf dem Revier ein. Tommy saß bereits an Detective Sniders Schreibtisch und stand auf, als er sie hereinkommen sah. Lindsay lief erleichtert in seine Arme.
Detective Danes allerdings sagte ihr, sie habe noch ein paar Fragen und bat sie erneut in den Befragungsraum.
„Wissen Sie inzwischen, wer es war?“, wollte Lindsay wissen.
„Nein. Wir wissen allerdings, dass es Ihr Bruder nicht war. Denn Mr. Geller wurde am Sonntag zwischen 21 und 23 Uhr getötet, und da war er auf der Arbeit, was zwei seiner Kollegen uns bestätigten. Die Schlägerei liegt außerdem ganze 20 Stunden vor dem Mord und hat damit anscheinend nichts zu tun. Des Weiteren … die eingeritzten Buchstaben ... der Mörder ist Rechtshänder, Tommy aber Linkshänder. Er ist aus dem Schneider.“
„Sie können sich gar nicht vorstellen, wie erleichtert ich bin.“
Detective Danes lächelte ein kleines Lächeln, zum ersten Mal, seit Lindsay sie kannte.
„Da ist aber noch eine andere Sache.“
Lindsay sah überrascht auf.
„Ach ja, Sie hatten ja noch ein paar Fragen“, erinnerte sie sich.
„Genau. Es geht dabei um Ihre Freundin Jess.“
Damit hätte Lindsay nun am allerwenigsten gerechnet. „Jess?“
Detective Danes nickte. „Wussten Sie von der Beziehung zwischen ihr und Mr. Geller?“
Lindsay starrte die Polizistin mit weit geöffnetem Mund an, dann fing sie sich jedoch gleich wieder. „Nein, das muss ein Irrtum sein. Jess ist meine beste Freundin.“
„Wir haben sie zu den Gerüchten um die Schlägerei befragt und sie hat zugegeben, diese am Sonntag höchstpersönlich von Mr. Geller erfahren zu haben. Sie war bei ihm, die beiden hatten seit geraumer Zeit eine Affaire.“
„ Nein!“, sagte Lindsay ungläubig. Doch dann erinnerte sie sich daran, wie merkwürdig sich Jess bei ihrem Besuch am Sonntagnachmittag verhalten hatte. Da war sie also direkt von Robert gekommen? Bei dem sie gewesen war, um mit ihm in die Kiste zu hüpfen? Obwohl sie genau wusste, wie sehr Lindsay Robert liebte, obwohl sie vier Monate zuvor mitangesehen hatte, wie sehr ihre beste Freundin unter Roberts Fremdvögelei gelitten hatte. Beste Freundin! Pah!
Lindsay schlug die Hände vors Gesicht. Es war einfach zu viel für sie. In den letzten paar Tagen hatte sie viel zu viel ertragen müssen, viel zu viele Lügen wurden
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