Todsünde (German Edition)
zusammenstellen konnte. Jetzt war es ihr unangenehm, die Hähnchenkeule in die Hand zu nehmen und vor Anthony so herumzusauen. Doch er nahm ihr diese Peinlichkeit sogleich ab, indem er ihr nämlich besagten Schenkel klaute und herzhaft hinein biss.
„Seit wann stehst du auf richtiges Essen? Früher hast du dich nur von Süßzeugs ernährt.“
„Das tut sie auch heute noch“, antwortet Tommy für sie.
„Stimmt ja gar nicht“, warf Lindsay ein. Es war komisch, sie fühlte sich auf einmal wieder wie ein Teenager. Herumalbern mit den Jungs, sich gegenseitig necken. Beinahe hätte sie dabei das vergessen, was zurzeit wirklich in ihrem Leben vorging.
Als sie fertig waren, stand Tommy auf, wischte sich die Hände an der Jeans ab und fragte Anthony: „Was hast du heute noch vor? Wollen wir was unternehmen?“
„Ich hatte dasselbe schon Lindsay gefragt. Sie meinte, ihr wärt lieber allein.“
Tommy sah Lindsay an. „Ja, das hatten wir vor. Aber eigentlich könnten wir doch beide ein wenig Ablenkung gebrauchen, oder etwa nicht?“
Lindsay musste nicht lange nachdenken. „Einverstanden. Wohin soll`s gehen?“
Sie sahen einander an und riefen alle gleichzeitig: „Times Square!“
14
Zu dritt gingen sie den Broadway hoch. Der Times Square war schon früher ihr liebster Ort zum Ausgehen gewesen. Wie oft waren sie aus Queens in die City gekommen und hatten abends den Platz unsicher gemacht? Sie hatten in Fast Food Restaurants gesessen und über die Leute gelästert, hatten die Touristen verarscht und in die falsche Richtung geschickt, wenn sie nach dem Weg fragten und hatten lauthals die neusten Hits gesungen. Jess war oft dabei gewesen. Lindsay wünschte sich, sie wäre es jetzt auch. Sie wünschte, es wäre wie damals.
Dann kam ihr ein Gedanke. Tommy meinte, Jess hätte es mit jedem getrieben, den sie in die Finger bekam. Schloss das etwa auch Anthony mit ein? Ehrlich gesagt wollte sie es gar nicht wissen. Sie wollte sich nicht die gute Stimmung verderben, die sie so dringend brauchte, und sie kostete jede Sekunde voll aus.
„Wohnst du wieder bei deinen Eltern?“, fragte Tommy Anthony.
„Nee, im Moment schlafe ich bei `nem Kumpel auf der Couch. Ich bin erst seit ein paar Wochen wieder hier, hab noch keinen Job. Wenn ihr also etwas wisst.“
„Vielleicht kann ich bei mir im Fitnesscenter was klarmachen. Bei Lindsay willst du bestimmt nicht anfangen.“
Anthony sah sie fragend an. „Wo arbeitest du denn? In einem Nagelstudio? Einem Kindergarten?“
Tommy lachte. „Knapp daneben. In einer Modelagentur. Aber da sind alle nur schwul, da passt du nicht rein. Es sei denn, du bist es in der Zwischenzeit auch geworden, dann nichts für ungut.“
Anthony sah Lindsay an und errötete ein bisschen. „Nein, ganz bestimmt nicht. Ich stehe immer noch auf Frauen.“
„Na, das passt ja gut. Lindsay ist gerade wieder Single.“
Lindsay sah ihren Bruder schockiert an. Das hatte er doch nicht echt gerade gesagt! So eine Geschmacklosigkeit hätte sie ihm nun wirklich nicht zugetraut.
„Wie kannst du nur …?“, fuhr sie ihn an, dann machte sie kehrt und lief davon.
***
Lindsay rannte und rannte, immer weiter, immer schneller, bis sie ganz außer Atem war. Dann blieb sie pustend stehen und beugte sich nach vorne, stemmte die Hände auf die Oberschenkel. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Nur das Atmen nicht vergessen.
Wie hatte Tommy ihr so etwas antun können? Wusste er nicht, wie sehr sie Robert geliebt hatte, wie sehr er ihr fehlte? Im Tumult der letzten Wochen war sie nicht einmal richtig zum Trauern gekommen. Doch die ganze Zeit über hatte sie nur an ihn denken können. Sie fasste sich an den Hals, wo die Herzkette hing, die er ihr an ihrem zweiten gemeinsamen Valentinstag geschenkt hatte. Sie würde sie niemals wieder abnehmen.
Ihr Handy klingelte. Das musste Tommy sein, der sich bei ihr entschuldigen wollte. Zumindest sollte er das besser schnellstens tun oder sie würde ihm auf ewig böse sein.
Doch als sie auf das Display sah, stand da nicht Tommys Name, sondern eine fremde Nummer. Vielleicht Anthonys Handy?
„Hallo?“, meldete sie sich.
„Miss Scott?“, fragte eine Frauenstimme.
„Ja. Wer ist denn da?“
„Hier spricht Detective Danes. Sagen Sie, was fällt Ihnen ein, einfach Ihre Wohnung zu verlassen, ohne uns zu informieren?“
Jetzt war Lindsay verwirrt. „Aber mein Bruder hatte Ihnen doch Bescheid gesagt.“
„Mir? Ich weiß von
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