Todsünde (German Edition)
sogar dazu eingeladen. Er wollte aber nicht.“
„Du bist unmöglich, wenn du besoffen bist, Tommy. Ich gehe jetzt in mein Zimmer, schlafen“, sagte sie sauer und marschierte davon.
„Ach, und übrigens, Anthony schläft heute bei uns auf der Couch.“
Aha, dachte sie, ist ja toll, dass ich das auch noch erfahre. Gut zu wissen, dass mein Ex-Freund bei mir auf der Couch schläft, bevor ich morgen früh im Häschenpyjama und mit verwuschelten Haaren ins Wohnzimmer platze.
Sie wünschte Anthony gute Nacht und ging in ihr Zimmer. Anthony sah ihr hinterher, das spürte sie genau. Wäre die Situation eine andere gewesen, hätte sie es vielleicht sogar schön gefunden, dass ihre erste große Liebe wieder aufgetaucht war. Komisch, dachte sie, dass er ausgerechnet jetzt wieder da ist, dann legte sie sich schlafen.
Die drei waren so laut, dass auch nach Stunden noch immer nicht an Schlaf zu denken war. Lindsay holte die Kiste unter ihrem Bett hervor, in der sie immer Schokoriegel für den Notfall aufbewahrte, und aß das geliebte braune Zeug ohne schlechtes Gewissen. Doch helfen tat es diesmal auch nicht.
Irgendwann nahm sie ein paar dieser kleinen Beruhigungspillen und endlich, endlich schlief sie ein.
***
Schweißnass schreckte sie hoch. Was für ein heftiger Alptraum!
Sie hatte geträumt, dass der Mörder – ein gesichtsloser Mann – in ihr Zimmer gekommen war und sie aufgeschlitzt hatte. Im Schlaf. Er hatte ihr V-Ö-L-L-E-R-E-I in den Bauch geritzt, zugesehen, wie sie verblutete und dabei ihre Schokolade gegessen.
Es war ihr so real vorgekommen, so, als ob wirklich jemand nachts in ihrem Zimmer gewesen wäre.
Ein irrer Traum, verrückt. Oder doch nicht so verrückt? Wer wusste schon, was in dem Kopf des Killers vorging. Wenn sie doch nur endlich herausfinden würden, wer es war.
Sie sprang aus dem Bett, noch immer kalt vor Angst, und holte den Karton unterm Bett hervor. Sie öffnete den Deckel und sah hinein. All die Schokolade darin … was, wenn sie ein Grund dafür war, dass sie ebenfalls daran glauben sollte? Im Traum musste sie deswegen sterben, wegen Völlerei, einer Todsünde. Genau wie Tommy es ihr noch vor Kurzem gesagt hatte. Sie fraß die Süßigkeiten nur so in sich hinein, das war doch krank, das war eine Sünde. Gefräßigkeit – Völlerei.
Sofort ging sie mit dem Karton im Zimmer um und schmiss alles Essbare hinein. Danach wollte sie in der Küche und in der Speisekammer weitermachen.
Lindsay sah an sich herunter. Sie trug einen babyblauen Häschenpyjama. War Anthony noch in der Wohnung? Und was war mit Karen? Hatte Tommy sie mitten in der Nacht nach Hause gebracht? Hatte sie sich ein Taxi genommen? Oder war sie ebenfalls noch da? Hatte sie womöglich sogar die Nacht in Tommys Bett verbracht?
Lindsay wusste schon länger, wie sehr Tommy auf sie stand. Nur Tommy war nicht der Aufreißertyp, er war eher schüchtern, was Frauen anging. Allerdings so betrunken, wie er gestern Abend gewesen war, konnte sie sich gut vorstellen, dass er Karen endlich seine Gefühle gestanden hatte.
Karen. Sie hatte Lindsay wieder so komisch angesehen. Man konnte auch bei ihr sehen, dass sie ein wenig zu viel Alkohol intus hatte. Schade, dachte Lindsay, vielleicht wäre das mal der perfekte Zeitpunkt gewesen, sie zu fragen, was sie eigentlich gegen mich hat. Vielleicht hätte sie von ihr in diesem Zustand eine offene Antwort erhalten. Womöglich hatte sie mit Tommy über sie geredet, sie würde ihn auf jeden Fall später danach fragen.
Als Erstes zog sie sich eine verwaschene Jeans und ein New York Jets T-Shirt an. Es war schon alt, noch aus der Zeit, als sie mit Tommy und ihrem Dad immer zu den Footballspielen der Jets gegangen war.
Vorsichtig öffnete sie die Tür. Anthony lag mit leicht geöffnetem Mund auf der Couch und schlief. Von Tommy und Karen war nichts zu sehen.
Lindsay ging mit ihrer Schokoladenkiste in die Küche, riss den Schrank auf und wischte mit dem Arm einmal über das erste Regalfach. Danach über das zweite. Die Packungen, Riegel und einzeln verpackten Süßigkeiten fielen nacheinander in den Karton.
„Herrgott, was machst du da?“, fragte Anthony, der auf einmal in der Küche stand.
„Ich miste aus“, sagte sie nur.
„So früh am Morgen?“
„Es ist halb zwölf!“, sagte sie und sah ihn böse an.
„Musst du das so laut machen? Mein armer Kopf.“
„Euch hat es doch auch nicht gestört, dass ich letzte Nacht nicht schlafen konnte.
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