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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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war?«
    »Das steht in dem Bericht der Polizei von Andhra Pradesh, der uns übermittelt wurde. Es heißt, es habe sich um ein religiös oder politisch motiviertes Verbrechen gehandelt, und da das Dorf sehr abgelegen sei, habe es keine Zeugen gegeben. Die meisten Menschen meiden ja eher den Kontakt mit Leprakranken.«
    »Und doch haben die Täter die Leichen verbrannt. Finden Sie das nicht merkwürdig?«
    »Was soll daran merkwürdig sein?«
    »Die Leichen wurden zu großen Haufen zusammengetragen, bevor man sie anzündete. Man sollte doch annehmen, dass niemand einen Leprakranken anfassen mag. Also, warum haben sie das wohl getan?«
    »Ich nehme an, weil es so effizienter war, als wenn man sie einzeln verbrannt hätte.«
    »Effizienter?«
    »Ich versuche doch nur, logisch an die Sache heranzugehen.«
    »Und was war der logische Grund dafür, sie alle zu verbrennen?«
    »Blinder Hass? Zerstörungswut? Was weiß denn ich.«
    »Ganz schön viel Arbeit, so viele Leichen zusammenzutragen. Und die ganzen Benzinkanister ranzuschleppen. Die Scheiterhaufen zu errichten. Und das alles, während man ständig befürchten muss, entdeckt zu werden.«
    »Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Ich will damit sagen, dass die Leichen verbrannt werden mussten. Um die Beweise zu vernichten.«
    »Beweise wofür? Dass es ein Massaker war, ist doch offensichtlich. Das kann kein Feuer kaschieren.«
    »Aber ein Feuer könnte die Tatsache verschleiern, dass es kein Massaker war.«
    Es überraschte sie nicht, dass er den Blick senkte, dass er es plötzlich krampfhaft vermied, ihr in die Augen zu sehen.
    »Ich weiß nicht, warum Sie mir alle diese Fragen stellen«, sagte er. »Warum glauben Sie dem Polizeibericht nicht?«
    »Weil die indischen Kollegen sich entweder geirrt haben – oder bestochen wurden.«
    »Das wissen Sie ganz genau, wie?«
    Sie tippte auf das Foto. »Schauen Sie noch mal genau hin, Dr. Banks.«
    »Lieber nicht.«
    »Es sind nicht nur menschliche Überreste, die hier verbrannt wurden. Die Ziegen wurden geschlachtet und ebenfalls verbrannt. Genau wie die Hühner. Was für eine Vergeudung – das ganze nahrhafte Fleisch. Warum sollte irgendjemand Ziegen und Hühner abschlachten und sie anschließend verbrennen?«
    Victor lachte sarkastisch. »Vielleicht, weil sie auch mit Lepra infiziert gewesen sein könnten? Was weiß denn ich!«
    »Das erklärt aber noch nicht, was mit den Vögeln passiert ist.«
    Victor schüttelte verwirrt den Kopf. »Was?«
    Rizzoli zeigte auf das Wellblechdach der Klinik. »Ich wette, das ist Ihnen noch gar nicht aufgefallen. Aber Dr. Isles hat es bemerkt. Hier, diese schwarzen Flecken auf dem Dach. Auf den ersten Blick sehen sie wie Laub aus. Aber ist es nicht seltsam, das da Blätter auf dem Dach liegen, obwohl da weit und breit keine Bäume stehen?«
    Er erwiderte nichts, saß nur vollkommen reglos da und hielt den Kopf gesenkt, so dass sie seinen Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. Doch schon seine Körpersprache verriet ihr, dass er sich auf das Unvermeidliche gefasst machte.
    »Es sind nämlich gar keine Blätter, Dr.Banks. Es sind tote Vögel. Irgendeine Art Krähen, nehme ich an. Drei von ihnen sind hier am Bildrand deutlich zu erkennen. Wie erklären Sie sich das?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hat jemand sie geschossen.«
    »Im Polizeibericht gibt es keinerlei Hinweise auf Schußwaffengebrauch. Keine Einschusslöcher in dem Gebäude, keine Hülsen, die am Tatort gefunden wurden. Auch keine Geschoßsplitter in den Körpern der Opfer. Was in dem Bericht steht, ist, dass viele der Opfer Schädelfrakturen aufwiesen. Daher nahm man an, dass die Opfer alle im Schlaf erschlagen wurden.«
    »Das würde ich auch annehmen.«
    »Und wie erklären wir uns dann die toten Vögel? Diese Krähen sind doch wohl nicht seelenruhig dort auf dem Dach sitzen geblieben und haben gewartet, bis jemand raufgeklettert ist und ihnen mit dem Knüppel eins übergebraten hat.«
    »Ich weiß immer noch nicht, worauf Sie hinauswollen. Was haben denn ein paar tote Vögel mit dem Ganzen zu tun?«
    »Sie haben sehr viel damit zu tun. Sie wurden weder erschlagen noch abgeschossen.«
    Victor schnaubte verächtlich. »Rauchvergiftung vielleicht?«
    »Zu dem Zeitpunkt, als das Dorf in Brand gesetzt wurde, waren die Vögel bereits tot. Alles war tot. Vögel, Vieh, Menschen. Nichts hat sich mehr gerührt, nichts hat mehr geatmet. Es war eine Todeszone. Alles Leben ausgelöscht.«
    Darauf wusste er nichts zu erwidern.
    Rizzoli

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