Todsünde
sich um und merkte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss, als sie Pater Brophy in der Tür stehen sah. Sie tauschten einen viel sagenden Blick – zwei Menschen, die just in diesem tragischen Moment erkannten, dass zwischen ihnen ein Funke übergesprungen war. Maura schlug die Augen nieder, als er ins Zimmer trat, und zog sich mit Sutcliffe zurück, damit der Priester der Patientin die Sterbesakramente spenden konnte.
Durch das Sichtfenster sahen sie Pater Brophy an Ursulas Bett stehen. Seine Lippen bewegten sich im stillen Gebet, als er die Nonne von ihren Sünden lossprach.
Und was ist mit meinen Sünden, Pater?, fragte Maura sich, während sie sein markantes Profil betrachtete. Wärst du schockiert, wenn du erfahren würdest, wie ich über dich denke, was ich für dich empfinde? Würdest du mich auch von meinen Sünden freisprechen und mir meine Schwäche verzeihen!
Der Priester salbte Ursula, indem er ihr mit dem Finger das Kreuz auf die Stirn zeichnete. Dann blickte er auf.
Es war an der Zeit, Ursula sterben zu lassen.
Pater Brophy kam heraus und trat zu Maura ans Fenster, während Sutcliffe mit einer Krankenschwester zu Ursula hineinging.
Was nun geschah, war erschreckend in seiner nüchternen Sachlichkeit. Sutcliffe drehte an ein paar Schaltern, und das war auch schon alles. Das Zischen des Beatmungsgeräts verstummte. Die Schwester blickte zum Herzmonitor auf, wo die Signale in immer längeren Abständen aufleuchteten.
Maura registrierte, dass Pater Brophy näher an sie herantrat, wie um ihr zu versichern, dass er für sie da war, sollte sie Trost und Beistand brauchen. Aber seine Nähe wirkte nicht beruhigend auf sie, sondern verwirrend. Wieder fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Sie zwang sich, den Blick nicht von dem Drama abzuwenden, das sich hinter dem Fenster abspielte, und dachte dabei: Immer gerate ich an die falschen Männer. Warum fühle ich mich immer zu Männern hingezogen, die ich nicht haben kann oder darf?
Der Monitor zeigte einen ersten stockenden Herzschlag an, dann den nächsten. Das Herz bekam keinen Sauerstoff mehr, doch immer noch schlug es hartnäckig weiter, während seine Zellen bereits abstarben. Eine Folge von stotternden Ausschlägen ging rasch in die letzten Zuckungen des Kammerflimmerns über. Maura musste sich zwingen, nicht einzuschreiten, musste gegen den Impuls ankämpfen, der ihr nach vielen Jahren der medizinischen Ausbildung in Fleisch und Blut übergegangen war. Diese Arrhythmie würde nicht behandelt werden; dieses Herz würde niemand mehr retten.
Endlich zeigte der Monitor eine flache Linie an.
Maura blieb noch am Fenster stehen, um das triviale Nachspiel von Ursulas Sterben zu verfolgen. Für Trauer oder Besinnung
schien keine Zeit zu sein. Dr. Sutcliffe horchte Ursulas Brust mit dem Stethoskop ab, schüttelte den Kopf und ging hinaus. Die Schwester schaltete den Monitor aus und bereitete den Leichnam für den Transport vor, indem sie die Kanülen herauszog und die EKG-Elektroden entfernte. Die Männer mit der Bahre waren bereits unterwegs.
Für Maura gab es hier nichts mehr zu tun. Sie ließ Pater Brophy vor Ursulas Zimmer stehen und ging zurück zur Stationszentrale.
»Ich habe noch etwas vergessen«, sagte sie zu der Sekretärin.
»Ja?«
»Ich brauche für unsere Unterlagen noch die Kontaktinformationen für die nächsten Verwandten. In der Patientenakte habe ich nur die Telefonnummer des Klosters finden können. Soweit ich weiß, hat die Verstorbene noch einen Neffen. Haben Sie seine Nummer da?«
»Dr. Isles?«
Sie blickte sich um und sah, dass Pater Brophy hinter ihr stand. Er knöpfte gerade seinen Mantel zu und lächelte sie entschuldigend an.
»Tut mir Leid, ich wollte ja nicht lauschen, aber was das betrifft, kann ich Ihnen helfen. Bei uns im Pfarrbüro haben wir sämtliche Kontaktinformationen für die Schwestern von Graystones Abbey. Ich suche Ihnen die Nummer raus und rufe Sie später an.«
»Das wäre sehr nett von Ihnen. Vielen Dank.« Sie nahm den Umschlag mit den Kopien der Patientenakte und wandte sich zum Gehen.
»Ach, Dr. Isles?«
Sie drehte sich um. »Ja?«
»Ich weiß, der Moment ist vielleicht nicht sehr passend, aber ich wollte es Ihnen trotzdem gesagt haben.« Er lächelte. »Ich
wünsche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest.«
»Das wünsche ich Ihnen auch, Pater.«
»Kommen Sie doch einfach mal auf einen Plausch vorbei, wenn Sie Zeit haben.«
»Ich werde es bestimmt versuchen«, erwiderte sie. Und wusste doch in dem
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