Todsünde
überdeckte den milderen Duft des Acht-Kilo-Truthahns, der knusprig gebraten und glänzend im Bräter auf der Anrichte stand. Rizzoli saß in der Küche ihrer Mutter am Tisch und schlug Eier und zerlassene Butter unter die noch warmen Kartoffeln, die sie zuvor gekocht und zerstampft hatte. In ihrer eigenen Wohnung nahm sie sich nur selten die Zeit zum Kochen; ihre Mahlzeiten waren zumeist eilig zusammengewürfelt aus allem, was Küchenschränke und Gefrierfach so hergaben. Doch hier bei ihrer Mutter war Kochen niemals mit Hektik verbunden. Es war vielmehr eine ehrfürchtige Handlung, in der sich der Respekt vor dem Essen selbst ausdrückte, auch wenn die Zutaten noch so einfach waren. Jeder Schritt, vom Schneiden des Gemüses über das Rühren der Sauce bis hin zum Übergießen des Bratens mit dem Fleischsaft, war Teil eines feierlich zelebrierten Rituals. Dazu gehörte als Abschluss und Höhepunkt auch die sorgsam choreographierte Parade, in der die Speisen aufgetragen wurden – gebührend untermalt von den entzückten Seufzern der am Tisch versammelten Familie. In Angelas Küche war kein Platz für Hektik.
Und so nahm auch Jane sich Zeit, als sie nun das Mehl zu dem Kartoffelbrei und den Eiern hinzufügte und die warme Masse mit bloßen Händen durchknetete. Die stupide, rhythmische Bewegung wirkte beruhigend auf sie, und es fiel ihr nicht schwer zu akzeptieren, dass sich dieser Vorgang nun einmal nicht beschleunigen ließ. So vieles in ihrem Leben konnte oder wollte sie nicht akzeptieren. Sie verwendete allzu viel Energie darauf, immerzu schneller, besser, tüchtiger zu sein als alle anderen. Es war ein gutes Gefühl, sich zur Abwechslung einmal voll und ganz auf die mechanischen Zwänge der Gnocchi-Zubereitung einzulassen.
Sie streute noch etwas Mehl über den Teig und knetete es ein. Bewusst registrierte sie die samtige Konsistenz der Masse, die durch ihre Finger glitt. Nebenan im Wohnzimmer, wo die Männer vor dem Fernseher hockten, lief der Sportkanal in voller Lautstärke. Doch hier in der Küche konnte sie ruhig und gelassen vor sich hin werkeln und ihren Teig kneten, ungestört vom hektischen Geplapper des Reporters und dem Gejohle der Zuschauermassen im Stadion. Nur einmal wurde sie in ihrer Konzentration gestört, als einer von Irenes kleinen Zwillingen durch die Schwingtür in die Küche gewackelt kam, sich den Kopf an der Tischplatte anstieß und zu schreien begann. Gleich darauf kam Irene hereingestürmt und nahm ihn auf den Arm.
»Angela, bist du sicher, dass ich euch beiden nicht beim Kochen helfen kann?«, fragte Irene. Es klang, als suchte sie verzweifelt nach einer Gelegenheit, dem Lärm im Wohnzimmer zu entkommen.
Angela, die gerade die Teigröllchen für die Cannoli in Öl frittierte, antwortete: »Kommt gar nicht in Frage! Du hast mit deinen zwei Jungs genug zu tun.«
»Michael kann doch auf sie aufpassen. Der sitzt sowieso nur vor der Glotze.«
»Nein, du setzt dich jetzt schön ins Wohnzimmer und entspannst dich. Janie und ich haben alles im Griff.«
»Na, wenn du wirklich ganz sicher bist ...«
»Bin ich, bin ich.«
Irene seufzte und ging mit dem zappelnden Jungen im Arm hinaus.
Jane begann den Gnocchi-Teig auszurollen. »Ich glaube, sie würde uns wirklich gerne ein bisschen zur Hand gehen, Mom.«
Angela schöpfte die knusprigen, goldbraun ausgebackenen Teigröllchen aus dem Öl und legte sie zum Abtropfen auf Küchenpapier. »Es ist besser, wenn sie auf ihre Kleinen aufpasst. Ich habe nun mal mein System. Sie würde sich doch in dieser Küche gar nicht zurechtfinden.«
»Im Gegensatz zu mir, wie?«
Angela drehte sich um und sah sie an. Das Öl tropfte von ihrem Schaumlöffel. »Natürlich. Du kennst dich schließlich aus hier.«
»Ich weiß nur, was du mir beigebracht hast.«
»Und ist das etwa nicht genug? Hätte ich mir mehr Mühe geben sollen?«
»Du weißt, dass ich es nicht so gemeint habe.«
Mit kritischem Blick beobachtete Angela, wie ihre Tochter den Teig in zwei Zentimeter breite Streifen schnitt.
»Denkst du vielleicht, Irenes Mutter hätte ihr beigebracht, wie man Gnocchi macht?«
»Das glaube ich kaum. Ihre Familie stammt schließlich aus Irland.«
Angela schnaubte verächtlich. »Das ist noch ein Grund, sie nicht in die Küche zu lassen.«
Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen. »Hey, Ma«, rief Frankie, »hast du vielleicht noch irgendwas zum Knabbern da?«
Rizzoli blickte auf, als ihr älterer Bruder in die Küche geplatzt kam. Er war bei den Marines,
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