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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Wenn Sie direkt zu dem Thema verhört worden wären? Hätten Sie dann die Wahrheit gesagt, Dr. Banks? Dass Sie Geld angenommen haben, um bei der Vertuschung eines Verbrechens zu helfen?«
    »Wir reden hier nicht von einem Verbrechen. Sondern von einem Industrieunfall.«
    »Sind Sie deswegen nach Boston gekommen? Um Schwester Ursula zu überreden, ebenfalls Verschwiegenheit zu wahren? Um dafür zu sorgen, dass die Lügenfront geschlossen blieb?«
    »Nicht Lügen. Schweigen. Das ist ein Unterschied.«
    »Aber von hier ab wird es irgendwie kompliziert. Ein Vorstandsmitglied von Octagon namens Howard Redfield
    beschließt, sich an das Justizministerium zu wenden und auszupacken. Und nicht nur das, er kann auch eine Zeugin präsentieren. Eine Frau, die er eigens zu diesem Zweck aus Indien hat einfliegen lassen.«
    Victor hob den Kopf und starrte sie ehrlich verblüfft an. »Was für eine Zeugin?«
    »Sie war in Bara dabei. Eine der Leprakranken, die überlebt haben. Überrascht Sie das?«
    »Ich weiß von keiner Zeugin.«
    »Sie hatte mit eigenen Augen gesehen, was in dem Dorf passierte. Sie hatte gesehen, wie die Fabrikarbeiter die Leichen auf Scheiterhaufen zusammentrugen und anzündeten. Sie hatte gesehen, wie sie ihren Freunden und Verwandten die Schädel einschlugen. Was sie gesehen hatte, was sie wusste, konnte Octagon zu Fall bringen.«
    »Davon weiß ich nichts. Niemand hat mir gesagt, dass es Überlebende gegeben hat.«
    »Es wäre alles ans Licht gekommen. Der Unfall, der Vertuschungsversuch. Die Bestechungsgelder. Sie wären vielleicht bereit gewesen, weiterhin zu lügen, aber Schwester Ursula? Wie bringt man eine Nonne dazu, unter Eid die Unwahrheit zu sagen? Eine ehrliche Ordensschwester hätte das ganze Lügengebäude zum Einsturz bringen können. Sie macht den Mund auf, und schon gehen Ihre schönen fünfundachtzig Millionen Dollar flöten. Und die ganze Welt sieht zu, wie der heilige Victor von seinem Podest gestoßen wird.«
    »Ich glaube, ich bin hier fertig.« Er stand auf. »Ich muss jetzt zum Flughafen.«
    »Sie hatten die Gelegenheit. Und Sie hatten ein Motiv.«
    »Ein Motiv?« Er lachte ungläubig. »Für den Mord an einer Nonne? Da könnten Sie ebenso gut die Erzdiözese beschuldigen, denn ich bin mir sicher, dass die Herrschaften auch ein hübsches Sümmchen eingesteckt haben.«
    »Was hat Octagon Ihnen versprochen? Noch mehr Geld, falls Sie bereit wären, nach Boston zu kommen und das Problem für sie aus der Welt zu schaffen?«
    »Erst beschuldigen Sie mich des Mordes, und jetzt behaupten Sie auch noch, Octagon habe mich dafür bezahlt? Können Sie sich wirklich vorstellen, dass irgendein Manager eine Anklage wegen Mordes riskieren würde, nur um einen Industrieunfall zu vertuschen?« Victor schüttelte den Kopf. »Kein Amerikaner musste wegen Bhopal ins Gefängnis. Und auch wegen Bara wird kein Amerikaner ins Gefängnis kommen. Also, kann ich jetzt gehen oder nicht?«
    Rizzoli warf Crowe einen fragenden Blick zu. Er antwortete mit einem resignierten Nicken, woraus sie schließen konnte, dass er bereits eine Rückmeldung von der Spurensicherung bekommen hatte. Während sie Victor vernommen hatte, hatten sich die Kollegen seinen Mietwagen vorgenommen. Offenbar hatten sie nichts finden können.
    Sie hatten nicht genug Belastungsmaterial, um ihn noch länger festhalten zu können.
    »Sie können vorläufig gehen, Dr. Banks«, sagte sie. »Aber wir müssen genau wissen, wo wir Sie finden können.«
    »Ich fliege direkt nach Hause. Sie haben ja meine Adresse in San Francisco.« Victor griff nach der Türklinke, hielt dann inne und drehte sich noch einmal zu ihr um.
    »Bevor ich gehe«, sagte er, »möchte ich, dass Sie eines über mich wissen.«
    »Was denn, Dr. Banks?«
    »Ich bin Arzt. Vergessen Sie das nicht, Detective. Mein Beruf ist es, Leben zu retten – und nicht zu zerstören.«
    Maura sah ihn aus dem Vernehmungszimmer herauskommen.
    Er ging stur geradeaus und würdigte sie keines Blickes, als er an dem Schreibtisch vorbeikam, an dem sie saß.
    Sie stand auf und rief: »Victor?«
    Er blieb stehen, drehte sich aber nicht zu ihr um; es war, als könnte er es nicht ertragen, sie anzusehen.
    »Was ist passiert?«
    »Was glaubst du denn, was passiert ist? Ich habe ihnen gesagt, was ich weiß. Ich habe ihnen die Wahrheit gesagt.«
    »Das ist das Einzige, was ich von dir hören wollte. Mehr habe ich nie verlangt.«
    »Ich muss mich beeilen, mein Flugzeug wartet nicht.«
    Ihr Handy klingelte.

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