Todsünde
Sekunden lang rührte sie sich nicht vom Fleck, wagte nicht einmal zu atmen, starrte nur ins Leere. Kahle Wände, blank gebohnerte Dielen. In diesem Zimmer spukt es, war ihr erster, irrationaler Gedanke, bevor die Logik wieder das Kommando übernahm. Alte Holzfußböden machten oft merkwürdige Geräusche, Heizungsrohre ebenso. Es waren keine Schritte gewesen, sondern die Dielen, die sich in der Kälte zusammenzogen. Es gab ganz natürliche Erklärungen für ihren Eindruck, dass da jemand mit ihr im Zimmer gewesen war.
Aber immer noch spürte sie, dass da etwas war – dass sie beobachtet wurde.
Jetzt standen auch die Härchen an ihren Armen zu Berge, und ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Über ihr war ein Scharren zu hören, wie von Krallen auf Holz. Ihr Blick flog zur Decke. Ein Tier! Es bewegt sich von mir weg.
Sie ging zur Tür hinaus, und das wilde Pochen ihres eigenen Herzens übertönte fast die Geräusche von oben. Da war es wieder – es entfernte sich in Richtung Treppe!
Tapp, tapp, tapp.
Sie folgte dem Geräusch, den Blick an die Decke geheftet, und ging so schnell, dass sie beinahe mit Rizzoli zusammengestoßen wäre, die gerade aus der Toilette kam.
»He«, sagte Rizzoli. »Wohin so eilig?«
»Psst!« Maura zeigte auf die dunkle Balkendecke.
»Was?«
»Horchen Sie!«
Sie warteten und lauschten angestrengt. Doch bis auf das Hämmern ihres eigenen Herzens konnte Maura nichts hören.
Absolute Stille.
»Vielleicht haben Sie nur das Wasser in den Rohren rauschen gehört«, meinte Rizzoli. »Ich habe eben die Toilettenspülung betätigt.«
»Es waren nicht die Rohre.«
»Was haben Sie denn gehört?«
Mauras Blick schoss wieder zu den alten Eichenbalken hoch, die sich unter der Decke entlangzogen. » Da! «
Da war es wieder, das scharrende Geräusch – es kam vom Ende des Flurs.
Rizzoli starrte an die Decke. »Was zum Teufel ist das? Ratten?«
»Nein«, flüsterte Maura. »Was immer es ist, es ist größer als eine Ratte.« Lautlos schlich sie den Flur entlang, Rizzoli folgte ihr auf den Fersen. So näherten sie sich langsam dem Punkt, an dem sie das Geräusch zuletzt gehört hatten.
Ohne Vorwarnung setzte plötzlich erneut ein Getrampel ein, das sich in die Richtung bewegte, aus der sie gekommen waren.
»Es läuft auf den anderen Flügel zu!«, sagte Rizzoli.
Sie stürmte voran, Maura folgte ihr. Am Ende des Korridors stieß Rizzoli eine Tür auf und schaltete das Licht auf der anderen Seite ein. Vor ihnen erstreckte sich ein verlassener Flur. Es war kühl hier, die Luft stickig und feucht. Durch die offenen Türen erblickten sie offensichtlich unbewohnte Zimmer, die geisterhaften Silhouetten mit Tüchern verhängter Möbel.
Was immer es war, was sich in diesen Flügel geflüchtet hatte, jetzt war es still und verriet mit keinem Laut seinen Aufenthaltsort.
»Hat Ihr Team diesen Teil des Gebäudes auch durchsucht?«, fragte Maura.
»Ja, wir haben diese Zimmer alle gefilzt.«
»Und was ist da oben? Über dieser Decke?«
»Nur der Dachstuhl.«
»Trotzdem – da bewegt sich irgendwas«, sagte Maura leise. »Und dieses Etwas ist intelligent genug, um zu merken, dass wir ihm auf den Fersen sind.«
Maura und Rizzoli standen gebückt auf der Empore der Kapelle und inspizierten das Mahagonipaneel. Hier, so hatte Mary Clement ihnen gesagt, war der Durchgang zum Dachstuhl des Gebäudes. Rizzoli stieß das Paneel leicht an, und es klappte geräuschlos auf. Sie starrten in die Dunkelheit und horchten, ob sich drinnen irgendetwas bewegte. Ein Hauch warmer Luft wehte ihnen ins Gesicht. Im Dachstuhl sammelte sich die aufsteigende Warmluft des Gebäudes, die jetzt durch die Öffnung in der Holztäfelung entweichen konnte. Rizzoli leuchtete mit der Taschenlampe hinein. Sie erblickten massive Dachbalken und eine rosafarbene Verkleidung – die neu verlegte Isolierung, von der die Äbtissin gesprochen hatte. Am Boden schlängelten sich elektrische Leitungen.
Rizzoli kroch als Erste durch die Öffnung. Dann schaltete Maura ebenfalls ihre Taschenlampe ein und folgte ihr. Sie musste sich bücken, um nicht mit dem Kopf an die Eichenbalken zu stoßen. Die Lichtkegel ihrer Taschenlampen schufen eine kreisförmige Insel der Helligkeit inmitten der Finsternis. Dahinter lag unbekanntes Gelände – und Maura merkte, wie ihr Atem sich beschleunigte. Die niedrige Decke und die abgestandene Luft gaben ihr das Gefühl, lebendig begraben zu sein.
Sie hätte beinahe einen Satz gemacht, als sie eine Hand
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