Todtsteltzers Ehre
dem Bürogebäude neben dem Parlament. Er hatte sie bezogen, um immer zugegen sein zu können, wenn er gebraucht
wurde, und auch, weil er die starken Sicherheitsvorkehrungen
dort brauchte, um sich vor seinen zahlreichen Feinden zu
schützen. Er hatte seinerzeit einer Menge Leute Ungemach
bereitet, und das auf allen Seiten des politischen Spektrums.
Alle pflichteten ihm darin bei, daß das Abkommen, das er mit
dem Schwarzen Block bezüglich der Familien getroffen hatte,
notwendig gewesen war, aber deshalb brauchte es noch niemandem zu gefallen.
Persönlich gab er einen Dreck darauf. Die Mordversuche waren der einzige echte Nervenkitzel, der ihm heute noch blieb,
aber er machte sich Sorgen, daß Unschuldige verletzt oder getötet werden könnten, nur weil sie sich im falschen Augenblick
in seiner Nähe aufhielten. Deshalb brachte er seine wenigen
Habseligkeiten in eine besser abgesicherte Unterkunft. Die
Zahl der Anschläge ging drastisch zurück, aber die neue Wohnung war nicht von der Art, wo Freunde mal eben hereinschneien konnten. Zuzeiten erschien ihm die spartanische Bleibe unerträglich ruhig und leer.
Nach der Rebellion zogen Jakob und Ruby zusammen, aber
das Arrangement hielt nicht. Sie waren einfach zu verschieden.
Gegensätze in Geschmack, Bedürfnissen und Charakter trieben
sie innerhalb eines Monats wieder auseinander. Jakobs spartanische Einstellung war mit Rubys Genußsucht aufeinandergeprallt; er wollte arbeiten, sie spielen. Er war ein Mann der
Pflicht und der Ehre, und sie … wollte lieber einkaufen gehen.
Oder in einer überfüllten Kneipe eine Schlägerei anzetteln. Daß
sie sich liebten, reichte allein noch nicht, um auch zusammenwohnen zu können. Und sie konnten auch nicht die ganze Zeit
im Bett verbringen. Die wachsende Frustration kulminierte
schließlich in größerem Geschrei, bei dem sie beide unverzeihliche Dinge sagten und anschließend mit schweren Gegenständen nacheinander warfen. Sie zerstörten ihr Haus Zimmer für
Zimmer und verließen einander. Sobald sie in getrennten Wohnungen lebten, in behaglicher Distanz zueinander, wurden sie
rasch wieder Freunde. Jakob gab Ruby nicht die geringste
Schuld. Man hatte nie leicht mit ihm zurechtkommen können,
wie jede seiner sieben Exfrauen zweifellos nur zu gern bestätigt hätte, und das recht ausführlich.
Und außerdem … Ruby hatte stets eine ganze Menge getrunken. Sie behauptete, die vom Labyrinth des Wahnsinns bewirkten Veränderungen schützten sie, aber Jakob war nicht ganz
überzeugt. Sie wurde langsamer. Wurde nachlässig. Machte
Fehler. Vertraute Menschen, vor denen sie ihre Instinkte noch
ein Jahr zuvor gewarnt hätten. Jakob wußte, warum sie trank.
Es lag an der Langeweile. Ruby konnte alles ertragen, außer
Langeweile. Und sie hatte schon immer eine starke Neigung
zur Selbstzerstörung gehabt. Das resultierte aus ihrem Beruf,
der Kopfgeldjagd. Man konnte nicht auf regelmäßiger Basis
Menschen umbringen, ohne das Leben mit der Zeit als trivial
zu empfinden, sogar das eigene. Vielleicht besonders das eigene.
Jakob seufzte und versank weiter in Grübelei. Er hatte über
vieles zu brüten. Früher hatte er gegen das System gekämpft.
Jetzt war er ein Teil davon. Er war Politiker geworden, hatte
die Ideale eines ganzen Lebens zur Seite geschoben, um Kompromisse einzugehen und Absprachen mit Leuten zu treffen,
die er verabscheute. Immer mehr sah er sich in Situationen gedrängt oder manövriert, in denen ihm keine andere Wahl blieb,
als im Namen einer größeren Sache wieder mal einer seiner
kleineren Überzeugungen zu opfern. Nur um doch noch eine
Chance zu erhalten, ein paar der Dinge zu erreichen, an die er
wirklich glaubte.
Das Problem war: Zu lange war er Anführer gewesen. Männer und Frauen waren auf sein Geheiß gesprungen, bewegt von
seinem großen Anliegen, seinen endlosen Reden und seinem
charmanten Lächeln. Jetzt war er nur noch ein einflußreicher
Mann unter anderen, gezwungen, über jede verdammte Kleinigkeit zu debattieren. Gezwungen, sich auf Vernunft und Einfallsreichtum zu verlassen. Und wenn beides scheiterte, sich
mit denen zu verbünden, die den eigenen Überzeugungen noch
am nächsten standen, um die gegnerischen Bastarde zu überstimmen. Und dann die neuen Freunde für ihre Unterstützung
zu bezahlen. Er fand es frustrierend und gelegentlich auf bittere
Weise amüsant, daß alle seine wundersamen Labyrinth -Kräfte
und die erstaunliche zweite Jugend in der
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