Todtsteltzers Ehre
sich förmlich vor
ihr, und sie reagierte mit einem spöttischen Lächeln. Finlay trat
vor, und Adrienne wich gerade so weit zurück, daß er hereinkommen konnte.
»Tritt die Schuhe auf der Matte ab, verdammt! Du bist hier
nicht zu Hause.«
Finlay nickte ruhig und verpaßte seinen Schuhen eine ordentliche Abreibung auf der Matte. Er gab sich Mühe, einen guten
Eindruck zu machen und niemanden umzubringen, wenn es
nicht unbedingt erforderlich war. Vage fragte er sich, ob er
noch rechtzeitig vor dem Aufbruch daran gedacht hatte, die
Schuhe zu polieren. Er vergaß solche Dinge leicht, wenn Evie
ihn nicht daran erinnerte. Das Problem, wenn man von Dienstpersonal großgezogen wurde … Er lächelte Adrienne an und
setzte sich die Nasenkneiferbrille auf die Nasenspitze.
»Oh, nimm das Ding weg, Finlay«, verlangte Adrienne gereizt. »Du weißt genau, daß mit deinen Augen alles in Ordnung
ist.«
»Die Brille dient Schau- und nicht Nutzzwecken«, erläuterte
Finlay auf die geduldige und vernünftige Art, von der er genau
wußte, daß sie Adrienne zum Wahnsinn trieb. »Sie gehören zur
Aufmachung. Aber für Stilfragen hattest du noch nie Verständnis, nicht wahr?«
»Insoweit sie dazu führen, solche Sachen anzuziehen, nein.
Ich habe schon Regenbogen gesehen, die farblich dahinter zurückstehen. Tatsächlich denke ich, daß ich noch nie zuvor so
viele Farben auf einem Haufen gesehen habe. Was ist passiert?
Konntest du dich nicht auf eine Farbe einigen und hast dir lieber alle auf einmal angezogen?«
»Etwas in der Art.« Früher hätte er sich, nur um sie zu ärgern, präzise zu der Frage geäußert, warum er diese Überhose
und spitzen Schuhe zu genau diesem Cutaway-Gehrock ausgesucht hatte, und warum es so wichtig war, dieses Ensemble
durch die richtige Weste zu ergänzen. Noch war er jedoch darauf bedacht, sich von der besten Seite zu zeigen, und ließ die
Gelegenheit verstreichen. »Du trägst immer noch schlichtes
Schwarz, Addie? Es steht dir. Bringt die Färbung des Herzens
zur Geltung.«
»Es steht für meine Vorfreude auf ein Begräbnis. Deines.«
Sie lächelten einander an, nachdem so Gleichstand herrschte.
Finlay blickte betont auffällig durch den schmalen Korridor.
»Wo sind die Kinder, Addie? Ihretwegen bin ich schließlich
gekommen.«
Adrienne machte ein böses Gesicht. »Sie sind natürlich im
Salon, tragen ihre besten Sachen und zeigen ihr bestes Verhalten, falls sie wissen, was gut für sie ist. Und ich wünschte wirklich, du würdest sie nicht einfach nur als ›die Kinder‹ bezeichnen. Sie haben schließlich Namen, weißt du?«
»Ja, ich weiß. Troilus und Cressida. Du hast sie ausgesucht.
Wie alt sind sie?«
»Troilus ist acht und sieht dir sehr ähnlich. Cressida ist sieben. Gott sei dank schlägt sie mehr nach mir. Du solltest ihr
Alter eigentlich kennen: Ich habe dich anläßlich ihrer Geburtstage stets darauf aufmerksam gemacht. Obwohl es immer darauf hinauslief, daß ich die Geschenke selbst kaufen und dann
so tun mußte, als kämen sie von dir.«
»Mein Leben war immer sehr ausgefüllt«, sagte Finlay und
merkte noch, während er es aussprach, daß es ganz nach einer
Ausrede klang. »Und lange gab es für niemanden außer mich
selbst einen Platz darin. Aber ich denke gern, daß ich mich
seitdem verändert habe. Als Evangeline in mein Leben trat,
erweckte sie Dinge in mir, von deren Vorhandensein ich zuvor
nicht einmal etwas geahnt hatte. Sie half mir … menschlicher
zu werden. Ein Mann zu sein wie andere Männer, nicht nur
eine Killermaschine, die zwischen Auftritten in der Arena als
Schlafwandler durchs Leben ging. Ich bin nicht mehr der Mann
von früher, Addie. Ich habe mich so sehr bemüht, das alles
hinter mir zu lassen.«
»Nette Ansprache«, fand Adrienne. »Du mußt sie Ewigkeiten
lang geprobt haben.«
»Oh, stundenlang«, bestätigte Finlay. »Aber deshalb ist sie
nicht weniger zutreffend. Ist es denn so seltsam, daß sich ein
Mann wünscht, seine Kinder zu sehen? Seinen Anteil an der
Zukunft? Das einzige, was von ihm bleibt, sobald er von dieser
Welt gegangen ist?«
»Ich weiß nicht«, sagte Adrienne, die von der Ernsthaftigkeit
seines Tons bewegt war, aber entschlossen blieb, es nicht zu
zeigen. »Es klingt gar nicht nach dir, Finlay. Es ist eine Verbesserung, aber sie klingt nicht nach dir. Früher hast du einen
Dreck auf sie gegeben. Falls die Kinder auf einmal so wichtig
sind, warum zieht ihr, du und Evangeline, nicht selbst welche
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