Todtsteltzers Ehre
keiner der
Attentäter war lange genug am Leben geblieben, um den Auftraggeber zu nennen oder zu verraten, wie sie ihn gefunden
hatten. Praktisch jeder konnte dahinterstecken. Bei all den
Feinden, die Finlay sich gemacht hatte, war die Auswahl schier
beliebig. Das war einer der Gründe für seinen Entschluß, Golgatha zu verlassen und sich auf die Jagd nach Valentin zu begeben.
Nicht, daß Finlay sich ums eigene Leben gesorgt hätte, aber
immer bestand die Gefahr, daß der gescheiterte Auftraggeber
versuchte, ihn indirekt anzugreifen, indem er Menschen aufs
Korn nahm, an denen Finlay etwas lag. Wie Evangeline oder
Julian. Und das durfte er nicht riskieren. Julian konnte wahrscheinlich auf sich selbst aufpassen, aber es war Finlay nicht
möglich, Evangeline fortwährend zu beschützen. Sei es auch
nur deshalb, weil sie es nicht geduldet hätte. Evy hielt viel auf
ihre Privatsphäre. Er wußte, daß sie Geheimnisse hatte, die er
nicht kannte, aber er war dieserhalb nie in sie gedrungen. Finlay hatte Verständnis für Geheimnisse. Er hatte selbst genug.
Evie war zur Zeit wieder unterwegs. Führte irgendeinen Auftrag der Klon-Bewegung aus, von dem er nichts erfahren durfte. Trotz der stolzen Worte, die die Untergrundbewegung über
Gleichheit und Brüderlichkeit verlor, vertraute sie weiterhin
niemandem wirklich, der kein Klon war. Wenn man sich überlegte, wie stark der Untergrund Evangeline beschäftigt hielt,
obwohl die Rebellion offiziell vorüber war, dann drängte sich
Finlay die Frage auf, ob man zu verhindern versuchte, daß aus
ihm und Evie ein Paar wurde. Schließlich war er nur ein
Mensch. Und außerdem ein verdammter Aristo. Finlay lächelte
kurz. Wahrscheinlich war es noch einfacher. Die Untergrundbewegung war nie richtig mit ihm einverstanden gewesen, auch
wenn sie sich mit den Aufträgen an ihn wandte, die niemand
sonst übernehmen konnte. Sie hielt ihn für verrückt. Und natürlich hatte sie völlig recht. Kein geistig gesunder Mensch hätte
getan, was sie von ihm verlangte, wäre diese Risiken eingegangen und hätte in Blut gebadet, bis es ihm von der Seele
tropfte.
Das Problem war entstanden, als das Imperium schließlich
stürzte und alle von Finlay erwarteten, er würde ganz plötzlich
wieder normal werden. Er hätte ihnen sagen können, daß es so
nicht funktionierte. Man konnte nicht all das durchmachen, was
er durchgemacht hatte, all das verlieren, was er verloren hatte,
und schließlich trotzdem als ganz vernünftiger Kopf daraus
hervorgehen. Das einzige, was ihn einigermaßen stabil hielt,
waren die Liebe zu Evangeline und die Freundschaft mit Julian
Skye. Sie waren seine Anker. Sie hielten ihn … im Gleichgewicht. Ohne sie hätte er nur sich selbst gehabt, und er wußte
nicht mehr, wer das war. Er hatte seinerzeit viele Persönlichkeiten zur Schau gestellt. Den Gecken und Fatzken. Den
Maskierten Gladiator. Den Kämpfer der Rebellen. Den
Attentäter der Untergrundbewegung. Evies Liebsten. Jetzt
lärmten all diese Stimmen in seinem Kopf durcheinander, und
er fühlte sich in diesem Wirrwarr verloren.
Er sehnte sich nach Aktivität. Nach dem Kitzel des Kampfes.
Damals war alles so einfach gewesen. In solchen Situationen
wußte man, woran man war. Keine Grautöne. Keine Politik.
Nichts, was einen zurückhielt. Es einfach tun oder scheitern.
Siegen oder verlieren. Leben oder sterben. Und oh, der blutrote
Rausch, das Hämmern des Herzens in der Brust, die Freude
darüber, der Beste zu sein … oh, der Kitzel all dessen! Der
wunderbare Augenblick des Mordens. Nichts glich dem ganz.
Wie eine grenzenlos befriedigende, grenzenlos suchterzeugende Droge. Vielleicht hatte er mehr mit Valentin Wolf gemeinsam, als er dachte.
Finlay runzelte die Stirn und zwang sich, an etwas anderes zu
denken, an die vorangegangenen Erlebnisse des Tages, Er hatte
seine ihm extrem entfremdete Gattin Adrienne und ihre beiden
Kinder besucht. Er wußte immer noch nicht recht, was ihn dazu
getrieben hatte. Vielleicht, daß sie der einzige Inhalt seiner
Vergangenheit waren, der unberührt blieb von dem, was er
heute verkörperte. Finlay schloß die Augen und ließ die Gedanken zurückwandern.
Adrienne öffnete die Tür schon, ehe er richtig mit dem Anklopfen fertig war, als hätte sie ihn schon seit geraumer Zeit erwartet. Wie es sich traf, war er vollkommen pünktlich, aber
Adrienne ließ sich von Tatsachen niemals darin behindern,
einen guten Streit auszutragen. Er verneigte
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