Todtsteltzers Ehre
auszurotten. Sie registrierten überhaupt nicht, daß sich die Streitkräfte von Shub zurückgezogen hatten. So sehr waren die Menschen in ihre eigenen Nöte vertieft, daß sie nicht mitbekamen, wie die eigentliche
Schlacht um Lokis Zukunft woanders ausgetragen wurde.
Das lange schmale Tal zwischen der freien Ebene und der Stadt
Vidar hatte nicht viel hergemacht, als die Armee der Stadt hindurchmarschierte, aber Ohnesorg hatte seine strategische Bedeutung erkannt. Es war der einzige Weg nach Vidar, der einen
tagelangen Umweg einsparte. Falls die Geistkrieger die Stadt
erreichen wollten, solange die Flaute noch anhielt, mußten sie
durch das Tal. Als Ohnesorg und Ruby schließlich bemerkten,
wie weit sie vom Rest ihrer Truppen getrennt worden waren,
vergeudeten sie keine Zeit, hackten sich einen Weg durch die
sie umzingelnden Geistkrieger und rannten wie die Teufel
Richtung Tal. Ihnen blieb jetzt nur noch, die einzige strategische Stellung zu verteidigen, die wirklich von Bedeutung war.
Sie ließen ihre Verfolger rasch zurück und bezogen am Taleingang Abwehrposition. Das Tal war über anderthalb Kilometer
lang, aber kaum sieben Meter breit und verschmälerte sich am
Ausgang bis auf drei Meter. Was bedeutete, daß zwei Leute
hier eine Armee aufhalten konnten. Eine Zeitlang. Ohnesorg
und Ruby stützten sich müde aufeinander, während sie wieder
zu Atem kamen. Sie hatten eine ordentliche Strecke aus Leibeskräften rennen müssen, und selbst übermenschliche Lungen
und Beine hatten Grenzen. Der Kampf selbst war ebenfalls
lang und hart gewesen, und beide hatten dabei Kraft und
Schnelligkeit bis an die Grenze strapazieren müssen. Nach einer Weile gingen die Atemzüge wieder langsamer und hämmerten die Herzen nicht mehr ganz so heftig, und jeder konnte
von neuem aus eigener Kraft stehen. Sie blickten hinaus zur
Armee aus wandelnden Leichen, die sich auf der Ebene sammelte, und fluchten unisono. Es waren fast eintausend Geistkrieger mit Schwertern und Schußwaffen und der absoluten
Bereitschaft, sich vernichten zu lassen, falls das nötig war, um
den Gegner niederzuringen.
»Kann nicht behaupten, daß mir die Chancen gefallen«, stellte Jakob Ohnesorg fest. »Tausend gegen zwei ist doch ein klein
wenig besorgniserregend.«
»Wir hatten schon schlechtere Chancen«, hielt ihm Ruby
Reise entgegen.
Ohnesorg musterte sie. »Falls das stimmt, muß es mir entgangen sein. Im Angesicht von eintausend Geistkriegern kämen selbst Owen Todtsteltzer Zweifel. Allerdings müssen sie
uns von vorne angreifen, also jeweils nur eine Handvoll. Wenn
wir unsere Kräfte einteilen, könnten wir gerade eben länger
durchhalten als diese Bastarde.«
»Es sei denn, sie tüfteln eine Methode aus, wie sie uns auch
im Rücken angreifen können. Oder an den Flanken des Tals
herunter.«
Ohnesorg blickte hinter sich ins Tal und runzelte nachdenklich die Stirn. »Unwahrscheinlich. Sie brauchten zwei Tage,
um den Taleingang gegenüber zu erreichen, und so lange werden wir nicht hier sein, aus dem einen oder anderen Grund.
Und die Bergflanken fallen fast senkrecht ab. Nein, Ruby, sie
müssen uns frontal angreifen.«
»Ist auch am besten so«, sagte Ruby lebhaft. »Wir brauchen
also nur die Geistkrieger abzuwehren, bis unsere Seite gewonnen hat und zu unserer Unterstützung kommt, nicht wahr?«
»Nein«, antwortete Ohnesorg langsam. »Soweit ich die
Schlacht überblicken konnte, denke ich nicht, daß wir mit Hilfe
rechnen dürfen. Wir müssen davon ausgehen, daß nur noch wir
zwischen Shub und Vidar stehen. Falls wir sie abwehren, bis
die Flaute vorüber ist und der Sturm zurückkehrt, dann haben
wir gewonnen und ist die Stadt in Sicherheit.«
»Und was ist mit uns?« wollte Ruby wissen.
»Wir haben uns schon einmal durch den Sturm bis zur Stadt
durchgeschlagen. Wir schaffen es auch erneut.«
»Und die Schlacht?«
»Gott weiß«, sagte Ohnesorg. »Soweit ich zuletzt überblikken konnte, hatte die Armee der Stadt die Aufständischen in
die Seile getrieben, aber die eigentliche Gefahr ging immer von Shub aus. Und ich denke nicht, daß wir denen viel Beulen verpaßt haben. Und noch etwas anderes macht mir Sorgen.«
»Dir macht immer irgendwas Sorgen«, sagte Ruby resigniert.
»Was ist es diesmal?«
»Ich habe bislang keine Spur von Jung Jakob Ohnesorg gesehen. Er hat sich nirgendwo in der Schlacht blicken lassen.
Das hätte ich bemerkt. Wo also steckt er, und was führt er im
Schilde?«
»Verdammt, du hast recht! Das
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