Todtsteltzers Ehre
aushändigen, ehe Ihr geht.«
»Nein«, sagte Carrion. »Das denke ich nicht.«
Gutmann runzelte die Stirn. »Kraftlanzen unterliegen einem
Bann, und das aus gutem Grund. Sie sind im ganzen Imperium
verboten. Schwejksams Wort schützt Euch, Gesetzloser, also
fordern wir nicht Euren Tod. Aber wir können Euch nicht gestatten, die Lanze zu behalten.«
Er winkte mit einer fetten Hand, und ein Dutzend bewaffnete
Wachleute traten vor, die Waffen auf den Mann gerichtet, der
Carrion hieß. Er blickte Schwejksam an, der die Achseln zuckte. Carrion bedachte Gutmann mit einem kalten Lächeln.
»Versucht nur, sie zu nehmen.«
Auf einmal schien es im ganzen Saal dunkler zu werden, und
überall waren Schatten. Dinge regten sich in der Düsternis und
schwebten außer Sichtweite bedrohlich über den Menschen,
riesig und kalt und unsichtbar. Eindrücke entstanden von schartigen Zähnen und großen krummen Klauen. Ein schwerer Wind
blies böig und heftig aus dem Nirgendwo. Etwas heulte, ein
langgezogener wilder Laut ohne irgend etwas von Menschennatur darin. An den Seiten wisperten Stimmen. Eine unsichtbare, wachsame Präsenz war spürbar, von Wesen ohne Zahl, und
alle im Saal spürten einen böswilligen Zorn, der wie eine
Sturmwolke über ihnen lag. Die Wachleute umklammerten ihre
Waffen, wußten aber nicht, wohin sie zielen sollten. Owen,
Hazel, Jakob und Ruby standen Rücken an Rücken, bereit für
alles, was ihres Weges kam. Menschen umklammerten einander und versuchten, in alle Richtungen zugleich zu blicken. Sie
waren nur wenige Augenblicke vor einer Panik, einer Stampede zu den Türen, die eine Menge Menschenleben gekostet hätte.
Und dann war die Präsenz auf einmal weg, erstarb der Wind
und war alles wieder ruhig und still. Auf seinem Stuhl, auf seinem Podest leckte sich Gutmann nervös die Lippen und räusperte sich.
Alle sahen ihn an, aber er hatte nur Augen für Carrion.
»Was … Was war das?«
»Die Ashrai«, antwortete Carrion. »Sie sind vor langer Zeit
umgekommen, als Kapitän Schwejksam Befehl gab, Unseeli zu
sengen, aber ihre Geister lebten fort. Einst suchten sie die metallenen Wälder heim, aber jetzt sind die Bäume dahin, und so
suchen sie mich heim. Sie beschützen mich.«
»Oh, verdammt«, sagte Gutmann. »Behaltet die verfluchte
Lanze. Seht jetzt, daß Ihr unverzüglich von hier verschwindet,
und nehmt Eure unnatürlichen Freunde mit.«
Carrion nickte ruhig, drehte sich um und ging zur Tür, begleitet von Schwejksam. Hastig gaben ihnen die Leute den
Weg frei. Alle außer einer. Diana Vertue trat den beiden in den
Weg, und sie blieben vor ihr stehen. Diana nickte Carrion
brüsk zu und richtete den Blick ihrer verwundeten Augen auf
Schwejksam.
»Hallo Vater«, sagte sie.
»Hallo Diana«, sagte Schwejksam. »Ich habe schon gehört,
daß du wieder deinen alten Namen angenommen hast. Ich bin
froh. Johana Wahn hat mir im Grunde nie gefallen.«
»Sie war ein realer Teil von mir. Sie ist es nach wie vor, tief
in mir. Ich habe mich nur … weiterentwickelt. Als die Weltenmutter noch durch mich wirkte, hielt ich mich für ihren Avatar,
ihren Fokus, ihre Heilige auf Erden. Aber sie hat mich verlassen, mir die Gnade und den Ruhm genommen, damit ich den
Rest meiner Tage als Wesen geringeren Ranges verbringe, das
nicht länger vom Himmel berührt wird. Sie hat mich einfach
im Stich gelassen, genau wie du es auf Unseeli getan hast.«
»So war es nicht«, sagte Schwejksam.
»Doch, war es«, erwiderte Diana. »Es war genau so.« Sie sah
Carrion an. »Ich habe die Ashrai auf Unseeli singen gehört. Bin
in ihren Gesang eingefallen. Sie vermittelten mir einen Eindruck vom Himmel und zogen sich dann zurück. Besser für
immer blind, als für wenige Augenblicke die Farben des Regenbogens zu sehen und wieder ins Dunkel geworfen zu werden. Man hat mich so oft verraten; jetzt traue ich nur noch mir.
Wer immer das ist. Ich bin froh, daß Euer Planet tot ist, Carrion. Ich bin froh, daß die Wälder dahin sind. Ich wünschte nur,
Ihr und die Ashrai wärt mit ihnen dahingeschieden. Haltet
Euch fern von mir. Du auch, Vater. Weil ich dich töte, wenn du
mir erneut weh tust.«
Schwejksam wollte etwas sagen, fand aber nicht die Worte,
und schließlich verbeugte er sich nur und ging, Carrion an seiner Seite. Diana blickte ihnen nach, und für einen Moment knisterte etwas von ihrer bösartigen alten Persönlichkeit um sie
herum wie ein Fliegenschwarm.
Danach fiel alles weitere dramaturgisch stark ab,
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