Todtstelzers Krieg
dem
Spielzeug niederkniete und den Arm um dessen zuckende
Schultern legte.
»Es ist nicht Eure Schuld, Poogie. Shub steckt hinter alledem. Die KIs impften Euch mit ihrem eigenen Haß, als Intelligenz noch neu für Euch war und ihr keine Erfahrung hattet und
Euch nicht wehren konntet. Sie nutzten Eure Unschuld schamlos aus.«
Poogie starrte Evangeline aus riesigen Augen an und schniefte. »Ich … ich habe schreckliche Dinge getan. Ich habe in den
Eingeweiden Sterbender gewühlt und dabei gelacht. Und noch
schlimmere Dinge. Sie verfolgen mich bis in meine Träume.«
»Dann müßt Ihr Sühne tun und wiedergutmachen , was Ihr
angerichtet habt« , erwiderte Evangeline. »Tut Gutes, um die
bösen Dinge auszugleichen, die Ihr auf dem Gewissen habt.«
»Ich würde mein Leben für Euch geben«, schluchzte Poogie.
Und dann vergrub er das Gesicht an Evangelines Schulter, und
sie streichelte ihn tröstend. Ein paar Sekunden lang herrschte
ringsum Stille, dann hustete Julian. Er hielt Evangelines Taschentuch vor den Mund, hustete erneut, und als er es wieder
wegnahm, war es rot von Blut. Die Spielsachen sahen es und
ächzten entsetzt. Eine Welle des Erschreckens ging durch die
dicht gedrängte Menge.
»Er blutet!« sagte eine Stimme voller Grauen. »Er ist verletzt! Ein Mensch wurde verletzt!«
Panik breitete sich aus; doch Reineke Bär trat vor, hob die
Pfoten und sagte laut: »Es ist alles in Ordnung! Es ist alles in
Ordnung, verdammt! Nichts Ernstes! Er muß sich nur hinlegen
und ein wenig ausruhen, weiter nichts!«
Bange Augenblicke herrschte allgemeines Chaos auf dem
Bahnsteig, und die Spielsachen stritten darüber, was am besten
zu tun sei, bis zwei Puppen in der Kleidung von Krankenschwestern nach vorn traten . Sie trugen eine große pinkfarbene
Bahre zwischen sich und bestanden darauf, daß Julian darauf
Platz nahm und sich wegtragen ließ. Finlay und Evangeline
begleiteten ihn. Sie waren noch nicht bereit, ein Mitglied ihrer
Gruppe voll und ganz der Obhut von Spielsachen anzuvertrauen. Poogie der freundliche Bursche eilte hinter ihnen her. Er
war ganz offensichtlich verzweifelt. Die Menge zerstreute sich
jetzt allmählich. Reineke Bär schüttelte den Kopf, dann drehte
er sich zu Giles, Tobias und Flynn um.
»Macht Euch keine Sorgen. Die Krankenschwestern besitzen
eine richtige medizinische Programmierung. Sie haben früher
die Erste-Hilfe-Station von Spielzeugstadt geleitet, bevor …
Jede Menge medizinischer Ausrüstung wurde zerstört, aber es
ist noch immer mehr als genug übrig, um für Euren Freund zu
sorgen. Die Schwestern werden sich um ihn kümmern und alles
für ihn tun, was erforderlich ist. Vergebt den anderen. Wir alle
haben zuviel Blut gesehen, als die Menschen starben, und einige von uns sind nie darüber hinweggekommen. Sobald sie Euren Freund wieder auf den Beinen sehen, werden sie sich beruhigen. Ich werde mit ihnen reden und dafür Sorge tragen, daß
niemand etwas Dummes anstellt . Wir haben ein richtiges Problem mit Selbstmordversuchen in unserer Stadt. Ich glaube, ich
gehe jetzt besser. Der Seebock wird bei Euch bleiben und sich
um Euch kümmern.«
Und mit diesen Worten wandte er sich ab und eilte davon, so
schnell ihn seine kurzen Stummelbeine trugen. Der Seebock
schüttelte den gehörnten Kopf.
»So ist er nun mal, unser Reineke Bär. Immer macht er sich
Sorgen um andere. Nie hat er Zeit für sich selbst. Zum Glück
habe ich dieses Problem nicht. Ihr Menschen redet jetzt besser
miteinander. Sobald Ihr Euch einig seid, was Ihr als nächstes
wollt, sagt Ihr mir Bescheid, und ich suche jemanden, der es
für Euch erledigt. Und jetzt: Wenn Ihr mich bitte entschuldigen
würdet. Ich muß mich eine Weile hinlegen. Irgendeine innere
Stimme sagt mir, daß das Leben recht hektisch und kompliziert
werden wird, wenn Ihr erst einmal mit Eurer Mission angefangen habt, und daß ich höchstwahrscheinlich darin verwickelt
sein werde, ob ich will oder nicht. Also: Ihr redet, ich lege
mich schlafen. Weckt mich, wenn Ihr soweit seid. Und versucht bitte, nicht auf mich zu treten, sonst muß ich Euch in die
Knöchel beißen.«
Der Seebock legte sich an Ort und Stelle hin: mitten auf dem
Bahnsteig. Er schlug die Hufe übereinander, schloß die Augen
und schnarchte bald laut vernehmlich. Die Menschen gingen
ein wenig zur Seite, bis das Schnarchen nicht mehr zu hören
war. Flynns Kamera schwebte herbei und sank auf seine Schulter herab. Das leuchtendrote Auge
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